Völlig unerwartet und überraschend ist am vergangenen Wochenende Genosse Ernst Schwarz an einem Herzinfarkt gestorben. Er hinterlässt eine Frau und deren Tochter. Lange Jahre war er Mitglied in der Partei für Soziale Gleichheit (PSG), und Anfang 1995 wurde er auf einer sozialistischen Plattform in den Betriebsrat der Stahlwerke Krupp Hoesch AG gewählt.
Unter seinen Arbeitskollegen war er für seine furchtlose und zupackende Art bekannt, mit der er Missstände im Betrieb aufdeckte und sich für Verbesserungen einsetzte. Vor allem aber war er ein unnachgiebiger Kämpfer gegen die opportunistische Politik der Gewerkschaften und der Betriebsratsmehrheit, die hinter dem Rücken der Beschäftigten einem faulen Kompromiss nach dem anderen zustimmten. Ernst Schwarz machte nie einen Hehl daraus, dass die Probleme in den Betrieben nur dann wirklich gelöst werden können, wenn Arbeiter beginnen, sich mit sozialistischen Perspektiven zu befassen, und auf dieser Grundlage kämpfen.
Schon Anfang der siebziger Jahre, als er im Alter von 17 Jahren gerade seine Schlosser-Lehre auf der Henrichshütte in der Ruhrgebietsstadt Hattingen begonnen hatte, schloss sich Ernst Schwarz dem Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) - der Vorläuferorganisation der PSG - an. Er nahm damals an vielen Veranstaltungen und Seminaren teil und beteiligte sich unermüdlich an Diskussionen über sozialistische Perspektiven.
Später erzählte er oft, dass sich ihm in der damaligen Zeit zwei Standpunkte tief im Bewusstsein einprägten, an denen er unerschütterlich festhielt. Er lehnte eine Gesellschaft ab, die auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht und die in ihrer Vergangenheit die größten Verbrechen wie Faschismus, Krieg und Holocaust hervorgebracht hatte. Gleichzeitig wurde ihm bereits in diesen jungen Jahren klar, dass die opportunistische Führung der Arbeiterbewegung, vor allem die Sozialdemokraten und Stalinisten, das Haupthindernis für eine fortschrittliche Umgestaltung der Gesellschaft bilden.
Es gibt Bilder, die zeigen ihn, wie er auf einer Demonstration am 1.Mai 1975 in der Essener Innenstadt, von drei DKP-Ordnern umringt, versuchte, ein Transparent zu verteidigen, auf dem der Bund Sozialistischer Arbeiter gegen die Sozialkürzungen der damaligen Schmidt-Regierung protestierte. Trotz seiner mutigen Gegenwehr wurden damals alle Spruchbänder der Trotzkisten herunter gerissen.
Lange vor dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der DDR war Ernst Schwarz ein entschiedener Gegner des stalinistischen Regimes und der Bürokratie in der Arbeiterbewegung - allerdings von links und nicht, wie später so viele, von einem rechten, nationalistischen Standpunkt aus. Als Sozialist war er ein überzeugter Internationalist. Jede Gelegenheit die sich ihm bot mit Arbeitern aus anderen Ländern zu diskutieren nahm er wahr. So beteiligte er sich vor drei Jahren an einem Seminar der Vierten Internationale in Sydney und nutzte die Situation, um sich ausführlich über die Lage der australischen Stahlarbeiter zu informieren und internationale Kontakte zu knüpfen.
Ernst vertrat seine Argumente mit Nachdruck. Und selbst seine politischen Freunde erinnern sich an manch heftigen Wortwechsel und Meinungsstreit. Doch für Ernst Schwarz drehten sich alle Diskussionen um die Frage, wie der Einfluss sozialistischer Ideen und damit die politische Entwicklung der Arbeiter verbessert werden könnten.
Wer ihn kannte, machte die Erfahrung, dass seine politischen Überzeugungen mit einer großen Hilfsbereitschaft gegenüber anderen Menschen verbunden waren. Für ihn hatte das Wort "Solidarität" einen sehr konkreten und praktischen Inhalt. Hinter seiner zupackenden und temperamentvollen Art verbarg sich ein sensibler Mensch, der sich sehr liebevoll um seine Familie und Freunde kümmerte.
Trotz seines allzu frühen Todes hat Ernst Schwarz in seinem Leben ein Beispiel gegeben. Er gehörte zu den wenigen, die sich nicht anpassten und auch nicht nur über die schlechten Verhältnisse klagten, sondern mutig und unnachgiebig für Verbesserungen und eine gerechtere Welt kämpften. Damit stand er in der großen Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung.
Ernst Schwarz wurde nur 43 Jahre alt. Wir sind über seinen frühen Tod sehr betroffen.
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Im folgenden geben wir die sozialistische Plattform wieder, auf der Ernst Schwarz im Februar 1995 für den Betriebsrat der Stahlsparte Krupp Hoesch AG kandidierte und von seinen Kollegen mit großer Mehrheit gewählt wurde.
"Wofür ich mich einsetze!"
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Mein Name ist Ernst Schwarz, ich arbeite im Lager A, Werk Union, als erster Verlader. Mit diesem Flugblatt möchte ich Euch um Eure Stimme bei den bevorstehenden Betriebsratswahlen bitten und erklären, weshalb ich kandidiere. An erster Stelle steht für mich die kompromisslose Verteidigung aller Arbeitsplätze.
Seit 25 Jahren findet in der Stahlindustrie ein geradezu schwindelerregender Abbau statt. Waren im Jahr 1970 in den Dortmunder Hoesch-Werken noch 52 000 beschäftigt, so sind es heute noch ganze 16 500 bei der fusionierten Krupp Hoesch Stahl AG. Wie Ihr wisst, soll es munter so weitergehen. Der Preis ist eine mörderische Arbeitshetze und die Zunahme der Arbeitsunfälle um 25% allein im letzten Jahr. Es ist nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass die Verpuffung im Konverter bei Phoenix Ende Dezember keine Toten und Schwerverletzten hinterlassen hat.
Die Vernichtung von Arbeitsplätzen, die Kürzungen bei Sicherheitsvorkehrungen wie bei der Werksfeuerwehr oder den Technischen Betrieben, der zunehmende Einsatz von Fremdfirmen oder die willkürlichen Streichungen beim Weihnachtsgeld - wäre dies alles möglich gewesen ohne die Zustimmung und Mitwirkung von Betriebsrat und Gewerkschaftsfunktionären? Wie oft hat sich Werner Nass nicht schon seiner Verdienste um Kosteneinsparungen für das Unternehmen gerühmt!
Dabei ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Die diesjährigen Tarifverhandlungen bringen die Gefahr neuer Reallohnsenkungen und vor allem drastischer Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen mit sich. Die Betriebsvereinbarung der IG Metall bei VW zeigt, was noch auf uns zukommen kann. Sie bedeutet eine Lohnkürzung um rund 20% und die totale Flexibilisierung bis hin zur Arbeit auf Abruf.
Mit meiner Kandidatur möchte ich dazu beitragen, endlich eine wirksame Gegenwehr in die Wege zu leiten. Um es ohne Umschweife zu sagen: Dazu braucht es eine neue Politik in der Arbeiterbewegung, die nicht von der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Stahlindustrie, sondern von den gemeinsamen Interessen der Arbeiter aller Länder ausgeht. Als Sozialist stehe ich für eine solche Politik ein.
Ich wende mich entschieden gegen die ganze Kungelei hinter verschlossenen Türen zwischen Betriebsräten und Geschäftsleitung. Als erstes sollten wir dafür sorgen, dass die Mitgliedschaft im Betriebsrat kein Mittel mehr sein kann, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Es geht nicht an, dass Leute über Entlassungen und Arbeitsplatzabbau verhandeln, die selbst nicht davon betroffen sind. Deshalb:
* Keine Höhergruppierung oder sonstigen Vorteile für Betriebsräte!
* Freigestellte zurück in die Produktion!
* Kündigungsschutz für alle oder für keinen!
Zwar sind Betriebsräte nach dem Gesetz und die DGB-Gewerkschaften nach ihrem Statut auf politische Neutralität verpflichtet. Aber ist es etwa keine Politik, wenn die langfristigen Interessen der Arbeiter auf Schritt und Tritt den Bedürfnissen des Kapitals zum Opfer gebracht werden?
Nach dem Zweiten Weltkrieg akzeptierten die Spitzen von IG Metall und IG Bergbau die Rückgabe der entflochtenen Montankonzerne an dieselben alten Besitzer, die das Hitler-Regime finanziert und an die Macht gebracht hatten. Als Gegenleistung wurden ihnen von Adenauer die Mitbestimmungsrechte eingeräumt.
Kein einziger Arbeitsplatz wurde durch die so gewonnenen Sitze in den Aufsichtsräten verteidigt. Im Gegenteil, die Vernichtung Hunderttausender Arbeitsplätze wurde mittels Sozialplänen, Frühverrentung und Abfindungen auf diesem Wege erst organisiert. Die Chancen für Jugendliche auf Arbeit und Ausbildung wurden dadurch immer schlechter.
Die Zukunft der kommenden Generationen wird seit Jahrzehnten ganz vorübergehenden Vorteilen einer Minderheit älterer Kollegen zum Opfer gebracht. Und heute sind selbst diese gefährdet. Wie Ihr wisst, gibt es bei KHS für die Jahrgänge ab der zweiten Hälfte von 1942 keine Sozialplanregelung mehr. Statt dessen wurden Beschäftigungsgesellschaften gegründet, um die bevorstehenden Entlassungen möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen, sobald die Konjunktur wieder nachlässt.
Es ist höchste Zeit für eine neue Politik, die kompromisslos die Interessen aller Arbeiter - älterer und junger - verteidigt. Als erste Schritte trete ich ein für:
* Auflösung der Beschäftigungsgesellschaften, unbefristete Arbeitsverträge für alle!
* Unbefristete Übernahme aller Auszubildenden!
* Bedingungslose Verteidigung von jedem Arbeitsplatz. Schluss mit dem Ausverkauf von Arbeitsplätzen!
* Sofortmassnahmen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit! Leben und Gesundheit der Arbeiter dürfen nicht dem Profit geopfert werden! Neueinstellungen von Schlossern, Elektrikern und anderem Wartungspersonal, um jederzeit sorgfältige Reparaturen und eine ordnungsgemäße Wartung aller Anlagen und Krane zu garantieren! Der genaue Bedarf muss von den Beschäftigten in den betroffenen Abteilungen selbst ermittelt und festgelegt werden.
Die Geschäftsleitung wird diesen Forderungen die "Verteidigung des Industriestandorts Deutschland" und den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens entgegenstellen. Dieses Argument haben sich die meisten Betriebsräte und offiziellen Gewerkschaftsvertreter längst selbst zu eigen gemacht. Sie werden auf technische Notwendigkeiten und auf die Lage an den internationalen Stahlmärkten verweisen, die Kostensenkungen zwingend erforderlich machten.
Im Grunde sagen sie damit nur, dass die Zwänge der kapitalistischen Weltwirtschaft mit den Interessen der Arbeiter nicht vereinbar sind. So lange dort eine relative Stabilität und große Expansionsmöglichkeiten bestanden, wurden noch Kompromisse und Zugeständnisse an die Arbeiter vermittelt. Das ist jetzt vorbei. Heute dient die "Standortverteidigung" als Rechtfertigung für eine Verschlechterung nach der anderen.
Letztlich wird dadurch auch der Boden für Ausländerfeindlichkeit und rassistische Übergriffe bereitet, wie sie zu unserer Schande auch bei KHS vorgekommen sind. Die Politik der "Standortverteidigung" bedeutet Spaltung auf der ganzen Linie: nicht nur zwischen den Arbeitern etwa in Polen, Italien und Deutschland, sondern auch zwischen den Arbeitern von Krupp-Hoesch und Thyssen, sogar innerhalb der Belegschaften vom selben Konzern.
Ich sage, wir müssen von den gemeinsamen Interessen der Arbeiter in allen Ländern ausgehen. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Im Rahmen meiner Kandidatur trete ich dafür ein, Delegationen aus Belegschaftsmitgliedern zu bilden, um direkte Kontakte zu Stahlarbeitern der anderen Großkonzerne zu knüpfen, aber auch zu Belegschaften in anderen EU-Ländern, in Polen und auch in Übersee, wo immer KHS aktiv ist.
Das muss zum Ausgangspunkt für Kampfmassnahmen werden, mit denen die Arbeiter ihre gemeinsamen Interessen gegen den Konzern geltend machen. Es steht in direktem Gegensatz zu reinen Gipfelkonferenzen der Betriebsratsspitzen.
Ich trete weiter dafür ein, dass wir Arbeiter im Betrieb die Verteidigung von ausländischen Kollegen und ihren Familien gegen jede Diskriminierung und Anfeindung übernehmen. Außerdem müssen wir einen wirkungsvollen Schutz für die wehrlosesten Opfer von Nationalismus und Rassismus organisieren: für Flüchtlinge und Asylsuchende, die hier Zuflucht vor Krieg und Elend suchen und statt dessen zum Sündenbock für alle gesellschaftlichen Probleme gemacht werden.
Drei Dinge müssen an dieser Stelle unmissverständlich gesagt werden:
Erstens: Ein solcher konsequenter Kampf kann nicht einfach durch die Entsendung eines Stellvertreters in den Betriebsrat erreicht werden. Ihr müsst selbst aktiv werden. Ich schlage dafür die Bildung von Arbeiterausschüssen in den verschiedenen Werksteilen vor.
Zweitens: Ein solcher Kampf bedeutet einen frontalen Zusammenstoss mit jenen abgehobenen Gewerkschaftsbürokraten, die überall als Polizei der Unternehmer aufgetreten sind, wo sich in den vergangenen Jahren ernsthafter Widerstand gegen Entlassungen geregt hat — vor allem in den Bundesländern der ehemaligen DDR.
Drittens: Um dieser Sabotage standzuhalten und sie zu überwinden, ist eine neue, sozialistische Politik notwendig. Das größte Hindernis für den Zusammenschluss der Arbeiter aller Werke und Nationalitäten ist die spalterische Politik der "Standortverteidigung".
Dem ins Auge zu sehen, darin unterscheidet sich meiner Meinung nach ein ernsthafter Sozialist von Leuten, die zwar links daherreden, aber am Ende vor dem offiziellen Apparat buckeln.
Abschließend, Kollegen, noch einmal zur Klarstellung: Ich stehe mit meiner Kandidatur für einen neuen Weg ein. Ich mache keine billigen Versprechungen. Die oben aufgezählten Forderungen zu verwirklichen, wird einen harten Kampf bedeuten. Ich kann Euch nur zusagen, dass ich darin keine faulen Kompromisse eingehen und mich auch dem Druck der rechten BR-Spitze um Nass nicht beugen werde. Auf dieser Grundlage bitte ich um Eure Stimme und vor allem um Eure aktive Unterstützung.