Bereiten die Vereinigten Staaten eine Invasion in Somalia vor?

Eine Reihe von kürzlich erschienenen Presseberichten versucht das verarmte afrikanische Land Somalia als Zentrum "terroristischer Aktivität" darzustellen und empfiehlt es als nächstes Ziel im amerikanischen "Krieg gegen den Terrorismus".

Die Bush-Regierung schloss im vergangenen Monat die Somalia Internet Company und Al Barakaat, die wichtigste Finanzorganisation, über die im Ausland lebende Somalis Gelder in die Heimat transferieren. Es wurde behauptet, dass beide Unternehmen als Kanäle für Gelder von Al Qaida dienten. Angesichts der Tatsachen, dass das Land seit mehr als einem Jahrzehnt in sich bekriegende Fraktionen zerteilt ist, unter Hyperinflation und Dürre leidet und seine Haupteinnahmequelle - den Viehexport in den Mittleren Osten - wegen einer Tierseuche verloren hat, war die Stilllegung von Al Barakaat ein barbarischer Akt. Vertreter der Vereinten Nationen haben darauf hingewiesen, dass die meisten Somalis auf das Einkommen ihrer Verwandten im Ausland angewiesen sind - zwischen 200 und 500 Millionen Dollar wurden jährlich durch Al Barakaat nach Somalia transferiert; im Vergleich dazu erhielt Somalia lediglich 60 Millionen Dollar an internationalen Hilfsgeldern. Die sich daraus ergebende ökonomische Strangulierung droht die bereits bestehende humanitäre Katastrophe in einen massenhafte Hungertod zu verwandeln.

Wiederholt wurde vorgeschlagen, die Maßnahmen gegen Somalia weiter auszudehnen, in Form chirurgischer Angriffe (euphemistisch als "Stilett-Attacken" bezeichnet) oder gar einer umfassenden Militärinvasion - wenn nicht durch westliche Truppen, dann durch das benachbarte Äthiopien mit amerikanischer Rückendeckung. In der Ausgabe des Wall Street Journal vom 29. November wurden unter dem Titel "Nächste Kriegsphase nach Afghanistan zeichnet sich ab" amerikanische Regierungsvertreter mit folgenden Worten zitiert: "Somalia könnte für die Vereinigten Staaten der einfachste Ort sein, um direkt militärisch einzugreifen." Ähnlich wie Afghanistan habe es "kaum eine nationale Regierung und nur wenige Freunde, die gegen eine amerikanische Intervention protestieren würden". Da Somalia am Indischen Ozean liegt, fügt das Wall Street Journal hinzu, "würde dies den Einmarsch von amerikanischen Soldaten und die Verladung der Ausrüstung von den nahegelegenen Schiffen um einiges leichter machen" als in Afghanistan. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom gleichen Tag, patrouillieren amerikanische, britische und deutsche Kriegsschiffe bereits entlang der somalischen Küste, angeblich um Al Qaida-Kämpfer daran zu hindern aus Afghanistan zu fliehen.

Ein Artikel in der britischen Zeitung Sunday Telegraph vom 2. Dezember stellte fest: "Ein Team hochrangiger britischer Militäroffiziere, das in der vergangenen Woche die Zentrale Kommandostelle der USA in Tampa, Florida besucht hatte, wurde gebeten, eine Strategie für Angriffe auf Einrichtungen in Somalia vorzubereiten. Sie sind nach London zurückgekehrt, um den Plan mit dem Verteidigungsministerium und Regierungsvertretern zu besprechen."

Die Rechtfertigung für einen militärischen Angriff auf Somalia, die das Wall Street Journal präsentierte und die in der gesamten Medienwelt wiederholt wurde, lautet, dass eine somalische islamisch-fundamentalistische Terrororganisation namens Al Itihaad Al Islamiya Verbindungen zu Al Qaida und Osama bin Laden unterhält.

Diese Behauptung wurde zuerst in einem Artikel vom 4. November in der Washington Post aufgestellt; gleichzeitig wurde berichtet, dass Geheimdienstmitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums, des Pentagons, der CIA und des Nationalen Sicherheitsrates diskutierten, "wo und wie" Al Qaida in Somalia operieren würde. Folgendes wird behauptet (wobei es sich wahrscheinlich um Geheimdienstinformationen handelt, obwohl die Washington Post sie als Tatsachen darstellt):

  • Al Itihaad ist die somalische "Zweigorganisation" oder "Verbündete" von Al Qaida;
  • Bin Laden sandte 1993 mehrere Militärfachleute nach Somalia, um den "Warlord" Mohammed Aidid zu unterstützen, und Aidids Soldaten brachten 18 amerikanische Armeeangehörige um, die Teil einer Blauhelmtruppe der Vereinten Nationen waren;
  • Mitglieder von Al Qaida nutzen Somalia weiter als regionale Basis und bereiteten von hier aus unter anderem die Bomberattentate von 1998 auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania vor;
  • Regierungsvertreter des benachbarten Äthiopien sagen, dass Al Itihaad mit Unterstützung von Al Qaida versucht, die halbautonome Region Puntland im nördlichen Somalia zu übernehmen.

Seitdem sind diese Behauptungen noch um zahlreiche andere ergänzt worden. So erklärte zum Beispiel die britische Zeitung Sunday Times am 25. November, dass Al Itihaad Verbindungen zu Muhammad Atef hatte, dem Sicherheitschef bin Ladens, der von einer amerikanische Bombe in Afghanistan getötet wurde. Al Itihaad wird als "aggressive lokale Zweigorganisation" von Al Qaida beschrieben und über Somalia gesagt, dass es aktive Mitglieder von Al Qaida beherberge.

Kürzlich präsentierte der Sunday Telegraph eine neue Wendung: "Es ist herausgekommen, dass Saddam Hussein eine Reihe von Ausbildungslagern für Terroristen in Somalia finanziert, die von einer militanten islamischen Gruppe mit engen Verbindungen zu Al Qaida genutzt werden. Nach Angaben von irakischen Dissidentengruppen mit Sitz in London hat Saddam sich bereit erklärt, die somalische Gruppe Al Itihaad Al Islamiya mit Geldern, Ausbildungsmöglichkeiten und Ausrüstung zu versorgen. Im Gegenzug unterstützen ihn die somalischen Staatsvertreter dabei, die Sanktionen der Vereinten Nationen zu umgehen." Der Sunday Telegraph zitiert einen amerikanischen Regierungsvertreter mit den Worten: "Dies ist eine bedeutende Entwicklung für Saddam. Er denkt, dass er mit der Schaffung von Allianzen wie dieser die amerikanischen Truppen aus der Region vertreiben kann." Es wird auch behauptet, dass Al Qaida mehrere Ausbildungslager in Südsomalia unterhält.

Seit über einem Monat wird von den amerikanischen Geheimdiensten eine systematische Kampagne von Lügen und Hetzpropagada gegen Somalia entfaltet. Bei ihrem Versuch, das Land als Zentrum der Terrorismus der Al Qaida zu brandmarken, erhalten sie von den willfährigen Medien uneingeschränkte Unterstützung.

Um die oben aufgeführten Vorwürfe zu widerlegen, muss einem zunächst klar sein, dass die amerikanischen Geheimdienste praktisch keinerlei Wissen über Somalia haben. Der Artikel in der Washington Post vom 4. November weist darauf hin, dass die amerikanische Botschaft 1991 geschlossen wurde und "Somalia heute für diejenigen, die die Richtung der amerikanischen Politik bestimmen, und die Anti-Terror-Experten in den Vereinigten Staaten so etwas wie ein Rätsel darstellt". Im Sunday Telegraph wird berichtet, dass der britische Geheimdienst aufgefordert wurde, sich islamische Gruppen in Somalia anzuschauen: "Wir fanden einige ziemlich große Lücken in unserem Geheimdienstwissen."

Es wurde kein Beweis dafür vorgelegt, dass Al Qaida von Al Barakaat finanziert wurde oder durch diesen Kanal Gelder erhalten hat. Abdullah Kahiye, der zuständige Manager von Barakaat für Telekommunikationsfragen, lud amerikanische Staatsvertreter ein, die Unterlagen des Unternehmens zu prüfen, aber die Einladung wurde abgelehnt. (Das Unternehmen hat seinen Sitz noch nicht einmal in Somalia, das es als zu unsicher betrachtet, sondern in Dubai.) Kahiye sagte gegenüber der Presseagentur IRIN: "Um der einfachen Gerechtigkeit Willen sage ich zu den Amerikanern: Bitte kommen Sie und untersuchen Sie. Verlassen Sie sich nicht auf Lügen und Gerüchte, die von neidischen Konkurrenten oder anderen Leuten mit geheimen Plänen in die Welt gesetzt werden. Wir haben nichts zu verbergen." In seiner Antwort bestand das amerikanische Finanzministerium darauf, es gäbe "sehr, sehr starke Beweise", die aber nicht öffentlich bekannt gegeben werden könnten, da sie sich auf Geheimdienstquellen stützten.

Die Kampagne gegen Somalia wird vollkommen entlarvt durch das Material, das der amerikanische Akademiker Ken Menkhaus, Professor am Davidson College in North Carolina, vorgelegt hat. Menkhaus, ein Spezialist für Somalia und islamische Bewegungen, war Berater der Vereinten Nationen und berät inzwischen sowohl die Vereinten Nationen wie auch die amerikanische Regierung. Am 27. November hielt er einen Vortrag bei der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden, in dem er sehr deutlich machte, dass die Behauptung von den Verbindungen der Al Qaida nach Somalia jeder Grundlage entbehrt.

Menkhaus erklärte: "Was Al Qaida betrifft, so wäre Somalia ein ‚relativ unwirtliches Terrain‘ für bin Ladens Organisation. Allianzen in dem Land sind unglaublich instabil und die Schwierigkeit, in dem Land Geheimnisse zu wahren, würde es Al Qaida schwer machen, verborgen zu operieren."

Aufgrund der fehlenden Zentralregierung und seiner langen Küste, sagt Menkhaus, könnte Somalia als "Umschlaghafen" für Terroristen genutzt werden, aber er legt keine Beweise für Operationen der Al Qaida vor. Er lässt gelten, dass Al Itihaad "über ein Jahrzehnt lang die wichtigste und radikalste islamische Gruppe in dem Land war". Sie wurde in den 1980-er Jahren von einer Gruppe junger Männer gegründet, "die besonders enttäuscht waren von der korrupten und repressiven Regierung unter Mohammed Siad Barre". (Siad Barre wurde seit Mitte der 1970-er Jahre von den USA unterstützt, um ein Gegengewicht zum sowjetisch gestützten Regime in Äthiopien zu bilden. Die Vereinigten Staaten stellten ihre Unterstützung für Siad Barre erst nach dem Zerfall der Sowjetunion ein.)

Ebenso wenig ist das Bild von Al Itihaad als aktive terroristische Organisation in irgendeiner Weise gerechtfertigt. Menkhaus verweist auf die Tatsache, dass Al Itihaad in den frühen 1990-er Jahren zwar eine Reihe von Regionen und die Stadt Luuq an der Grenze zu Kenia kontrollierte, bis die Organisation 1996 von der äthiopischen Armee vertrieben wurde. Aber, so Menkhaus, "Al Itihaad scheiterte bei seinen früheren Versuchen, Kontrolle über Gebiete in Somalia auszuüben". Nach ihrer Niederlage, "zogen die Führer von Al Itihaad den Schluss, dass Somalia für die islamische Herrschaft noch nicht bereit sei."

Al Itihaad scheiterte, laut Menkhaus, weil die Organisation versuchte, unabhängig von dem Klan-System zu arbeiten, das die somalische Gesellschaft beherrscht, und weil sie einige Unterstützung aus dem Sudan erhielt und daher von vielen Somalis als Marionette des Auslands angesehen wurde. Al Itihaad existiert nun als sehr disparate Organisation, die für einen fundamentalistischen Islam eintritt und wirbt, wozu sie die vorhandenen staatlichen Organisationen zu infiltrieren und Geschäftsleute zu beeinflussen versucht. Anders als bei Al Qaida liegen ihre Hauptziele "im Innern, nicht international".

Soweit die Behauptungen der Medien bezüglich Al Qaida, Al Itihaad und Terrorismus in Somalia nicht einfach Erfindungen der amerikanischen Geheimdienste sind, gibt Menkhaus einen Hinweis auf die mögliche Quelle: "Diejenigen, die die Richtlinien der amerikanischen Politik bestimmen, sollten es vermeiden, sich zu stark auf die Informationen der äthiopischen Regierung zu stützen, da diese ein maßgebliches Interesse daran hat, die Aktivitäten von Al Itihaad zu übertreiben, um Unterstützung für die Bekämpfung der Gruppe zu gewinnen." Auch innerhalb von Somalia "muss vermieden werden, sich übermäßig auf lokale Gruppen zu verlassen, die Itihaad bekämpfen wollen, da die meisten dieser Gruppen wahrscheinlich stärker daran interessiert sind, kontinuierlich amerikanische Mittel zu erhalten, als tatsächlich terroristische Bedrohungen aus dem Weg zu räumen."

Dieselbe Motivation, finanzielle Unterstützung durch die Vereinigten Staaten zu erhalten, trifft mit Sicherheit auf die irakischen Oppositionsgruppen zu. Zudem passt die Behauptung, dass Saddam Hussein terroristische Gruppen mit Kontakt zu Al Qaida in Somalia finanziert, zu den Forderungen nach einer Militärinvasion im Irak, die diese Gruppen als eine den Vereinigten Staaten ergebene Regierung an die Macht bringen könnte.

Die nationalistischen Ambitionen des äthiopischen Regimes im Hinblick auf Somalia sind ein offenes Geheimnis. Äthiopien benutzte die falsche Behauptung, Al Itihaad habe Puntland übernommen, als Rechtfertigung, um seine Armee in die Region zu entsenden, wie das Wall Street Journal berichtete. Laut dem Artikel vom 28. November hieß ein amerikanischer Regierungsvertreter die Invasion zwar nicht offiziell gut, merkte aber an, dass sie "keinen Alarm verursacht hat" und "allgemein in einer Linie mit den Zielen der Vereinigten Staaten steht".

Schließlich ist die Behauptung, Osama bin Laden habe 1993 Mohammed Aidid seine Militärexperten zur Unterstützung gesandt, eine reine Erfindung.

Die Vereinigten Staaten haben ein militärisches Interesse an Somalia wegen der strategischen Lage des Landes. Ein großer Teil der europäischen Ölversorgung läuft entlang der Küste des Horns von Afrika - dies und die Nähe zum Mittleren Osten verleihen Somalia große geopolitische Bedeutung. 1993 versuchten die Vereinigten Staaten Unterstützung für ihre Intervention zu gewinnen, indem sie sich den Mantel der humanitären Friedenserhaltung umhängten; heute benutzen sie die Drohung des Terrorismus.

Als 1993 über 20.000 amerikanische Soldaten nach Somalia gesandt wurden, nachdem zunächst mit zwei der lokalen Kriegsherren - Aidid und Ali Mahdi - ein Abkommen getroffen worden war, "erklärte" die US-Regierung den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung gegen die Intervention, indem sie Aidid zum personifizierten Bösen aufbaute. Aidid musste um jeden Preis erledigt werden, auch wenn dies bedeutete, Hunderte unschuldiger Zivilisten in Mogadischu von Hubschraubern aus zu erschießen. Im Ergebnis widersetzte sich nicht nur Aidid der amerikanischen Intervention, sondern die somalische Bevölkerung als Ganze schlug zurück, was zeitweise sogar die sich bekriegenden Klanfraktionen vereinte und zu einer schmachvollen Erniedrigung des amerikanischen Militärs führte, bei der 18 US-Soldaten getötet wurden.

Es ist ein zweckdienliches Märchen im "Krieg gegen den Terrorismus", wenn der erzwungene Abzug des amerikanischen Militärs jetzt Osama bin Laden sowie Mohammed Aidid zugeschrieben wird. Ironischerweise gibt es zwar keinen Hinweis darauf, dass Aidid Unterstützung von den islamischen Fundamentalisten im Sudan erhalten hat - wo sich bin Laden zu der Zeit aufhielt - aber es existiert offensichtlich eine Verbindung zu Afghanistan. Somalis wurden von zurückgekehrten Mudschaheddin-Kämpfern ausgebildet, denen die amerikanischen Geheimdienste den Umgang mit Luftabwehrgranaten gegen sowjetische Flugzeuge beigebracht hatten - und nutzten dieses Wissen, um in Mogadischu die Kampfhubschrauber der amerikanischen Armee abzuschießen.

Siehe auch:
Artikel zum Krieg gegen Afghanistan
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