Das viereinhalbstündige Filmepos von Marcel Ophüls Le chagrin et la pitié( Das Haus nebenan - Chronik einer französischen Stadt im Kriege), das von der deutschen Besetzung Frankreichs während des II. Weltkriegs handelt, wurde diesen Sommer auf dem Filmfestival von Sydney gezeigt. Der Film wurde vor 30 Jahren zum ersten Mal in Paris aufgeführt, jetzt hat man ihn auf DVD neu herausgebracht. Er wird zu Recht als einer der bedeutenderen filmischen Dokumentationen angesehen, und er ist einer der wenigen, der die Zusammenarbeit der französischen herrschenden Klasse mit Nazi-Deutschland zwischen 1940 und 1944 aufdeckt.
Der Film von Ophüls enthüllt nicht nur die politische Unterdrückung und den Antisemitismus im Frankreich des Vichy-Regimes sowie den wachsenden Widerstand dagegen, sondern zieht auch den Nachkriegsmythos in Zweifel, der rund um Charles de Gaulle und die Bewegung "Freies Frankreich" geschaffen wurde. Obwohl er keine vollständige Darstellung der Epoche bietet - es werden einige wichtige Fragen ausgelassen -, ist der Film dennoch eine bemerkenswerte Einführung in diese Zeit.
Marcel Ophüls, das einzige Kind des Film- und Theaterregisseurs Max Ophüls und der Schauspielerin Hilde Wall, wurde 1927 in Deutschland geboren. Er hat die Periode, die in der Dokumentation behandelt wird, zum Teil selbst erlebt. 1933 zog seine Familie nach Frankreich, wo sein Vater weiterhin Regie führte, von 1939 bis 1940 als einfacher Soldat in der französischen Armee diente und auch an der Produktion von Radiosendungen gegen die Nationalsozialisten beteiligt war. Die Familie floh 1940, nur wenige Tage bevor die deutschen Truppe die Stadt übernahmen, aus Paris, begab sich nach Spanien und dann 1941 in die USA.
Marcel Ophüls kehrte 1950 mit seinen Eltern nach Frankreich zurück und arbeitete als Regieassistent mit John Huston an seinem Film Moulin Rouge(1953) und am Film seines Vaters Lola Montès(1955). Nach einigen erfolglosen Spielfilmen Anfang der 60er Jahre wandte sich Marcel dem Dokumentarfilm zu und produzierte Munich ou la paix pour cent ans( Hundert Jahre ohne Krieg - Das Münchener Abkommen von 1938) (1967), sowie Le chagrin et la pitié(1969). Als nächstes drehte er La mission de My Lai ( Die Ernte von My Lai) (1970) über den Vietnamkrieg, A Sense of Loss(1972) über den Konflikt in Nordirland und Schuldig im Sinne der Anklage(1976), ein Film, der sich mit den Nürnberger Prozessen, aber auch mit der französischen Kolonialherrschaft über Algerien und der US-Intervention in Vietnam beschäftigt. Nach 12jähriger Filmpause produzierte er Hôtel Terminus: Klaus Barbie et son temps( Hotel Terminus - Zeit und Leben des Klaus Barbie) (1988), für den er einen Oskar erhielt, und Jours en novembre( Novembertage - Stimmen und Wege) (1992) sowie in jüngerer Zeit Veillées d'armes - histoire du journalisme en temps de guerre( Die Geschichte der Kriegsberichterstattung) (1994).
Le chagrin et le pitié besteht aus zwei Teilen und konzentriert sich im Wesentlichen auf das Leben in Clermont-Ferrand, einer Stadt mit 150.000 Einwohnern in der Auvergne nahe Vichy. Der erste Teil - "l'Effondrement" (Der Zusammenbruch) - umreißt grob die politische Krise der französischen Bourgeoise - ihren militärischen Zerfall angesichts der deutschen Armee und die Aufteilung Frankreichs in zwei getrennte Gebiete, die besetzte und die sogenannte unbesetzte Zone. "Le choix" (Die Wahl), der zweite Teil des Films, beschäftigt sich mit der Opposition gegen das Regime, mit seinem letztendlichen Zerfall und seiner Niederlage.
Die besetzte Zone wurde direkt von den Nazis regiert und umfasste die gesamte Atlantik- und Kanalküste, einschließlich der reicheren Gebiete im Westen, im Norden und im Nordosten Frankreichs. Die unbesetzte Zone, die von einem profaschistischen, bonapartistischen Regime unter Marschall Philippe Pétain, einem französischen Offizier des Ersten Weltkriegs, und dem Premierminister Pierre Laval beherrscht wurde, kontrollierte Zentral-, Süd- und Südost-Frankreich. Laut Pétain und seinen Anhängern waren die Nazis Verteidiger der Zivilisation gegen den Kommunismus. Die zentrale Parole der Pétain-Regierung lautete: "Arbeit, Familie, Vaterland".
In ausführlichen Interviews mit insgesamt 36 Zeitzeugen, kombiniert mit Filmmaterial aus Wochenschauen und Archiven, das die Aussagen entweder unterstreicht oder widerlegt, schafft Le chagrin et la pitié ein mosaikartiges Porträt dieser Zeit. Zu den Interview-Partnern, von denen Ophüls viele selbst befragt hat, gehören deutsche Armeeangehörige, französische Kollaborateure und faschistisch eingestellte Aristokraten, liberale Demokraten, englische Diplomaten und Spione, Fabrikbesitzer, politisch enthaltsame Mitglieder der Mittelklasse, Lehrer und Ladenbesitzer wie auch Bauern, die Mitglieder der Résistance waren.
Der Film beginnt mit einem Zigarre rauchenden Helmut Tachsend, einem ehemaligen Wehrmachts-Hauptmann und Mitglied der Besatzungsmacht, der behauptet, dass das französische Volk die Nazis mit offenen Armen empfangen habe. Das Interview mit Tachsend findet auf der Hochzeitsfeier seines Sohns statt, und Tachsend rühmt sich seiner Heldentaten im Krieg. Die Dokumentation wechselt zwischen Tachsend und Wochenschauen der Nazi-Propaganda, in denen Frankreich "als Schande für die weiße Rasse" beschimpft wird, weil vietnamesische und afrikanische Soldaten in seiner Armee dienen.
Archiv-Filmmaterial, darunter Reden von Pétain und Pierre Laval, werden von Kollaborateuren kommentiert, die Ophüls ganz offen erzählen, dass sie Pétain unterstützt hatten, weil sie überzeugt waren, dass er die aktiven Kommunisten unschädlich machen, die Arbeiterunruhen beenden und Frankreich eine starke Position in einem neuen, von Deutschland dominierten Europa verschaffen würde. Dagegen erzählt ein rangniedriger deutscher Soldat Ophüls später in diesem Film über seine Erleichterung, als die Nazi-Armeen besiegt waren. "Wenn Hitler gewonnen hätte", erklärt er, "dann wäre ich heute wahrscheinlich immer noch Soldat und würde Afrika, Amerika oder sonst ein Land besetzen."
Französischer Antisemitismus und politische Unterdrückung
Abgesehen von einigen geringfügigen Störungen in den ersten Wochen der deutschen Besatzung ging das gesellschaftliche Leben der Pariser Bourgeoisie und oberen Mittelschicht im Juni 1940 weiter seinen Gang - Modeschauen, Theater, Opern und Pferderennen. So berichtet ein Interview-Partner: "Die Stadt war wild und verrückt, und das Maxim hat fantastische Geschäfte gemacht. Alle schämen sich heute, das zuzugeben, aber das Leben in Paris war großartig."
Auf diesem Hintergrund schildert Ophüls die Repressionswelle, die von der Nazi-Regierung und dem Vichy-Regime gegen zahlreiche gewöhnliche Menschen entfesselt wurde. Politische Parteien wurden verboten, Streiks für ungesetzlich erklärt und Tausende sozialistisch eingestellter Arbeiter, Juden, Zigeuner und Flüchtlinge aus dem faschistischen Spanien wurden verfolgt, inhaftiert und dann in deutsche Konzentrationslager abtransportiert. Pseudowissenschaftliche Rassentheorien und antisemitische Propaganda, darunter der in Frankreich produzierte Film Le Péril Juif( Die jüdische Gefahr), in dem Juden als Untermenschen dargestellt werden, wurden im ganzen Land verbreitet.
Einer der Befragten, Claude Lévy, Autor eines erschöpfenden Berichts über die Judenverfolgung in Frankreich und seit seinem 16. Lebensjahr aktives Mitglied der Résistance, berichtet Details über die schrecklichen Ereignisse von Mitte Juli 1942 im berüchtigten vél' d'Hiv(vélodrome d'Hiver), wo französische Polizisten etwa 13.000 Pariser Juden zusammentrieben - darunter 4.051 Kinder - und sie in dieser Radrennbahn gefangen hielten. Fünf Tage später wurden die Gefangenen in Viehwaggons verladen und ins Konzentrationslager Drancy nicht weit von Paris, und dann ins Todeslager von Auschwitz verbracht. Französische Beamte haben zwischen 1941 und 1944 zirka 75.000 Juden, darunter 12.000 Kinder, in die Nazi-Lager deportiert, wo sie umgebracht wurden.
Viele der Interviewten täuschen jedoch Unwissenheit oder Gedächtnisschwund vor, wenn Ophüls sie über diese Ereignisse befragt. Der Schwiegersohn von Premierminister Laval behauptet, sein Schwiegervater sei gegen Rassismus aufgetreten, und zwei Lehrer, die diese Ereignisse miterlebt hatten, gaben vor, sie könnten sich an keine Gesetze erinnern, die es jüdischen Lehrern verboten hätten, an französischen Schulen zu unterrichten. Ophüls interviewt Max Klein, einen französischen Ladenbesitzer, der aus Angst vor einem Boykott, Brandanschlägen oder Deportation während der gesamten Besatzungszeit eine Anzeige in der lokalen Zeitung geschaltet hielt, in der er erklärte, dass er kein Jude sei.
Ophüls‘ Dokumentation enthält auch einen kurze Filmbericht über Jacques Doriot, einen früheren Führer der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), der ins Parlament gewählt worden war, aber 1934 mit der Partei brach und dann 1936 die extrem rechte Französische Volkspartei gründete. Doriot unterstützte die Nazis und arbeitete direkt mit der deutschen Besatzungsmacht zusammen.
Gegen Ende des Films Le chagrin et la pitié führt Andrew Harris, einer der Produzenten, ein erschreckendes Interview mit Christian de la Mazière, einem französischen Aristokraten und faschistischen Schläger. De la Mazière war einer von 7.000 Franzosen, die in die Division "Karl der Große" eintraten, eine besondere deutsche SS-Einheit, die der Ostfront zugeteilt war. De la Mazière erklärt, wenngleich ihn die mystische und religiöse Komponente des Faschismus fasziniert hätte, sei das Anziehendste für ihn dessen Entschlossenheit gewesen, sämtliche sozialistische Organisationen und Ideen auszuradieren.
"Sie müssen das damalige Frankreich verstehen, in dem ich aufgewachsen bin", erklärt er. "1934 war jede Schule ein Schlachtfeld und überall wurde von Revolution gesprochen - Frankreich, Spanien, Nordafrika. Wir mussten uns zwischen der einen oder der anderen revolutionären Partei entscheiden, und meine revolutionäre Partei war der Faschismus. Wie hätte ein Junge, der in meinem Milieu erzogen wurde, kein Antikommunist sein können?"
Der Film Le chagrin et la pitié kümmert sich wenig um die Bewegung des "Freien Frankreichs" von Charles de Gaulle, die von einer kleinen Gruppe der französischen herrschenden Klasse geschaffen wurde, die gegen die Nazis war. Im Nachkriegs-Frankreich, wurden de Gaulle und das "Freie Frankreich" als die Avantgarde des antifaschistischen Widerstands hingestellt, aber im Gegensatz zur offiziellen Regierungsversion hatte de Gaulle, der im Juni 1940 nach England floh, innerhalb von Frankreich wenig Unterstützung. Außer begrenztem Beistand durch französische Kolonialgouverneure in Syrien, Madagaskar und Algerien war der selbsternannte Führer fast vollständig vom britischen und amerikanischen Militär abhängig.
Anstatt den de Gaulle-Mythos direkt zu entlarven, hebt Ophüls den Opfermut und Heroismus der einfachen Arbeiter und Bauern hervor, die über Jahre hinweg ohne Hilfe von außen gegen das deutsche Militär und das Vichy-Regime gekämpft haben. De Gaulle erscheint nur ganz kurz in Wochenschau-Filmen, und keines der befragten Résistance-Mitglieder hatte eine Verbindung zu ihm oder zur Bewegung "Freies Frankreich". Der Film enthält auch bissige Bemerkungen von Résistance-Mitgliedern gegen die bürgerlichen Elemente, die später zu Unrecht behaupteten, sie hätten die Faschisten bekämpft.
Denis Rake, ein britischer Spion und Variété-Künstler, der während der Besatzung in Paris Operationen durchführte, erklärt: "Ich erhielt keine Unterstützung von der französischen Bourgeoisie, aber die Arbeiter gaben uns alles, was wir brauchten, Essen, Zigaretten und sogar das Hemd, das sie auf dem Leib trugen, wenn wir sie darum gebeten hätten."
Louis Grave, ein Bauer, der zusammen mit seinem Bruder von seinem Keller aus eine lokale Einheit der Résistance anführte, gibt einen sehr bescheidenen, aber zutiefst bewegenden Bericht über seine Untergrundtätigkeit. Grave wurde von einem Dorfbewohner verraten, gefangengenommen und ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Die Résistance-Kämpfer des Dorfes, die in Graves Bauernküche zusammensitzen, beschreiben Unterdrückung und Folter, die gegen Freunde und Familienmitglieder eingesetzt wurden, weil sie im Verdacht standen, gegen die Faschisten zu kämpfen. Diese bescheidenen Helden erklären Ophüls, dass sie kein Verlangen nach Rache gegen jene verspüren, die mit den Faschisten zusammengearbeitet oder die Résistance-Mitglieder verraten haben - ihr zentrales Anliegen, erklären sie, sei sicherzustellen, dass solche Kräfte heute nicht wieder auftauchen.
Der Film Le chagrin et la pitié endet mit Archivmaterial über den Entertainer Maurice Chevalier, der versucht, seine musikalischen Auftritte in Nazi-Deutschland zu rechtfertigen. "Das müssen Sie verstehen", erklärt er, bevor er das Lied "Sweeping the Clouds Away" vorträgt, "dass dieser Besuch nicht dazu diente, die deutschen Truppen zu unterhalten, sondern die französischen Gefangenen in den Konzentrationslagern aufzumuntern". Die Wirkung ist ernüchternd.
Ophüls Film wird als "unpatriotisch" angeprangert
Der Film Le chagrin et la pitié provozierte einen Sturm erbitterter Auseinandersetzungen in Frankreich. Ursprünglich sollte es der zweite Teil einer dreiteiligen Dokumentation über die neuere französische Geschichte werden. Aber als der Film 1969 fertig gestellt war, weigerte sich der von der Regierung kontrollierte Sender ORTF, ihn auszustrahlen. Der Film wurde erst im April 1971, fast zwei Jahre später, herausgebracht und in einem kleinen Kino im Quartier Latin von Paris gezeigt.
Wie viele künstlerische Arbeiten, die in der Folge der Studentenrevolte von Mai-Juni 1968 und dem Generalstreik entstanden, versuchte der Film von Ophüls die politische Glaubwürdigkeit der rechten Regierung von Charles de Gaulle und seiner Behauptung, die Résistance angeführt zu haben, zu untergraben. Dazu erklärte Andrew Harris später: "Was mich geärgert hat, war nicht die Résistance, sondern der Resistancialismus, der, obwohl er die geschichtliche Wahrheit verfälschte, dennoch die Literatur, den Film, beiläufige Unterhaltungen und Schulbücher mit seinem Unsinn prägte."
Tatsächlich waren Ophüls und die Produzenten der Dokumentation - Andrew Harris und Alain Sédouy -, die aktiv die Bewegung von Mai-Juni 1968 unterstützten, während des Streiks mit dem ORTF-Management aneinandergeraten und wurden noch vor der Fertigstellung von Le chagrin et la pitié vom Sender entlassen. Ophüls arbeitete anschließend fürs deutsche Fernsehen, und der Film wurde mit Geldern aus Deutschland und der Schweiz fertiggestellt.
Gaullistische Politiker und Teile der französischen Intelligenz waren über den Film empört und prangerten ihn als "unpatriotisch" an. Der Leiter von ORTF, Jean-Jacques de Bresson, ein ehemaliges Mitglied der Résistance, erklärte einer Regierungskommission, der Film "zerstört Mythen, die das französische Volk immer noch braucht".
Ein beunruhigter Kritiker erklärte, der Film untergrabe die Bemühungen Frankreichs, "seinen Rang wieder einzunehmen". "Das Suhlen in Schuld sowie langwierige und ausgedehnte Säuberungsaktionen gegen alle, die irgendwelche Fehler gemacht haben, hätte nur jenen Verbündeten Frankreichs genützt, die es in der Nachkriegszeit auf eine untergeordnete Rolle abdrängen wollten", fuhr er fort. Es bestehe die Gefahr, dass das ausländische Publikum nur zu gern bereit sei, "den Film Le chagrin et la pitié als einzige und ganze Wahrheit zu akzeptieren, besonders in Ländern, in denen es Ressentiments gegen Frankreichs Nachkriegspolitik gibt oder vermutet wird, dass die offizielle Version Schönfärberei sei."
Die Dokumentation lief allerdings 87 Wochen in Paris und wurde während des gesamten Jahrzehnts auf Filmfestivals und in seriösen Kinos in ganz Europa und in den Vereinigten Staaten oft gezeigt. Die in Le chagrin et la pitié gezeigten vertrauten Interviews vor Ort und der verhaltene, oft ironische Einsatz von Archivmaterial beeinflusste eine neue Generation von Filmemachern im Bereich des Dokumentarfilms. 1981, mehr als ein Jahrzehnt nachdem er gedreht worden war, wurde Ophüls‘ Film endlich im französischen Fernsehen gezeigt und erreichte eine Einschaltquote von 15 Millionen Zuschauern.
Schwerwiegende Lücken in Bezug auf die Rolle des Stalinismus
Einige Vorbehalte sind jedoch in bezug auf Ophüls‘ Dokumentation angebracht. Der Film untersucht zwei zentrale Fragen nicht: Warum gab es keinen sofortigen Massenwiderstand der Arbeiterklasse gegen die deutsche Besatzung? Und warum waren Charles de Gaulle und seine rechte Bewegung "Freies Frankreich", die zu Beginn der 40er Jahre keine Unterstützung in der Bevölkerung hatten, nach dem Zusammenbruch der deutschen Besatzung in der Lage, die Staatsmacht zu übernehmen?
Diese Fragen kann man nicht beantworten, ohne die Rolle der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) zu untersuchen; Ophüls Dokumentation tut das nicht und öffnet damit Tür und Tor für pessimistische Schlussfolgerungen. Ein Kritiker zum Beispiel behauptet, Le chagrin et la pitié bezeuge "die allzu menschliche Fähigkeit, die Moral außen vor zu lassen, wenn militärische Gewalt und Propaganda es zweckdienlich erscheinen lassen".
In Wirklichkeit waren die Besetzung Frankreichs und die Entstehung des Vichy-Regimes nicht das Ergebnis "menschlicher Charakterfehler", sondern die Folge der konterrevolutionären Politik der stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion und ihrer Satellitenorganisationen in Frankreich und anderswo, die jedes unabhängige Handeln der Arbeiterklasse gegen den Faschismus abwürgten.
Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 - die durch Stalins Politik der Spaltung und Lähmung der deutschen Arbeiterklasse ermöglicht worden war - verbündete sich die sowjetische Bürokratie offen mit den imperialistischen Rivalen Deutschlands. Um sich ihren neuen Partner als würdig zu erweisen, unterdrückten die Stalinisten die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse in einem Land nach dem anderen.
Der Sozialismus wurde durch die Politik der Volksfront von der Tagesordnung gestrichen. Die 1935 von der Kommunistischen Internationale angenommen Volksfront-Politik ordnete die Arbeiterklasse Bündnissen mit verschiedenen politischen Parteien der Bourgeoisie unter. Unter diesem Banner wurde in den 30er Jahren die spanische Revolution und der Kampf gegen Francos Faschisten sabotiert und verraten.
In Frankreich drängte die Kommunistische Partei die Arbeiter dazu, die Volksfront-Regierung zu unterstützen, die im Mai 1936 an die Macht kam. An dieser Regierung, die vom Führer der Sozialistischen Partei Léon Blum geführt wurde, war auch die bürgerliche Radikale Partei unter Führung von Edouard Daladier beteiligt. Mit der Behauptung diese Regierung sei das "kleinere Übel", unterminierte die PCF-Führung Massenstreik-Aktionen und Besetzungen der französischen Arbeiter im Juni und Juli 1936 und einen Generalstreik im November 1938. In dieser revolutionären Situation stellten sich die Stalinisten gegen jeglichen Kampf der Arbeiterklasse für ihre unabhängigen Interessen und verbreitete damit politische Desorientierung.
Die Niederlagen der Arbeiterklasse stärkten die Macht der Reaktion. In Frankreich wurde Daladier, der zuvor von den Stalinisten als progressiv bejubelt worden war, 1938 Premierminister und nahm die Errungenschaften, die durch die Streikbewegung 1936 erkämpft worden waren, wieder zurück. Daladiers Regierung griff die Gewerkschaften an und passte sich an die Kräfte an, die eine Annäherung an die Nazis suchten.
Weit entfernt davon, ihre katastrophale Politik rückgängig zu machen, versuchte die sowjetische Bürokratie sich durch ein Abkommen mit Hitler selbst zu schützen - ein Schritt, der jeglichen Kampf gegen den Faschismus lähmte und direkt zum Zweiten Weltkrieg führte. Am 21. August 1939 schloss die Sowjetbürokratie den gegenseitigen deutsch-sowjetischen Verteidigungspakt - den berüchtigten Stalin-Hitler-Pakt - und erklärte, Hitlers Deutschland sei ein Freund der Sowjetunion. Kommunistische Parteien überall auf der Welt, einschließlich der PCF, unterstützten diese Politik und wiesen ihre Mitglieder an, sich jedem Krieg gegen Deutschland zu widersetzen.
Dies führte dazu, dass es keinen organisierten Widerstand der Arbeiterklasse gab, als Hitlers Truppen im Juni 1940 die Macht in Frankreich übernahmen. Die PCF unternahm keinen Versuch, gegen die Besatzungskräfte oder die Vichy-Regierung zu kämpfen, obwohl sie im Untergrund operierte, nachdem sie im September 1939 von der Daladier-Regierung verboten worden war. Tatsächlich prangerte die PCF de Gaulle von einem rechten Standpunkt aus an, weil er mit den Briten zusammenarbeitete.
Die PCF interessierte sich erst ein Jahr später, im Juni 1941, wirklich für die Résistance, als Deutschland in der Sowjetunion einfiel. Die stalinistische Bürokratie, die zuvor Großbritannien und die USA als Feinde der UdSSR eingestuft hatte, erklärte diese imperialistischen Mächte plötzlich zu Verbündeten. Die PCF begann mit den Kräften de Gaulles zusammenzuarbeiten, wies ihre Kader an, der Résistance beizutreten, und übernahm die Kontrolle der wichtigsten Organisationen. In den Monaten vor der Invasion der alliierten Truppen beherrschte die PCF den sechsköpfigen Nationalen Widerstandsrat (Conseil National de la Résistance, CNR), das Komitee für militärische Aktionen (COMAC) und die leitenden Komitees für die Befreiung von Paris (CPL).
Obwohl sozialistisch denkende Arbeiter in Frankreich im Zusammenbruch der deutschen Besatzung die Gelegenheit sahen, den Kapitalismus zu beseitigen, hatte die PCF andere Pläne. Entsprechend den Garantien, die Stalin den USA und Großbritannien 1943 auf der Konferenz von Teheran gegeben hatte, auf der die politische Nachkriegsgestalt von Europa organisiert worden war, halfen die französischen Stalinisten dabei, de Gaulle an die Macht zu bringen, hielten die Résistance zurück und lösten sie schließlich auf. Als Gegenleistung dafür erhielten die französischen Stalinisten in de Gaulles erster Nachkriegs-Regierung führende Ministerposten - darunter die für Produktion und Arbeit, Wirtschaft und Verteidigung.
Wie de Gaulle später in seinen Memoiren zugab, "half" der KPF-Führer Maurice Thorez, "die letzten Überreste der,patriotischen Milizen', die manche Leute ganz hartnäckig in einer neuen Untergrundbewegung weiterführen wollten, zu beseitigen;... er verbreitete unermüdlich unter den Arbeitern die Parole, dass sie bis zum Äußersten arbeiten und, koste es was es wolle, produzieren sollten".
Obwohl Le chagrin et la pitié nicht in der Lage ist, diese entscheidenden Fragen zu analysieren und damit ein vollständiges Bild dieser Periode zu zeichnen, ist der Film dennoch ein wertvolles Dokument über das Leben im von Deutschland besetzten Frankreich und ein brauchbarer Ausgangspunkt für künftige Dokumentar-Filmer, die versuchen, diese äußerst wichtige Periode zu analysieren. Er verdient sicherlich ein größeres Publikum, als es die Besucher von Filmfestivals darstellen.