Ein Briefwechsel zum Thema Aids/HIV

Die "World Socialist Web Site" hat folgenden Leserbrief zum Thema Aids/HIV erhalten, auf den Chris Talbot weiter unten antwortet.

Ich schreibe Ihnen, weil ich nicht einverstanden bin mit Ihrer Haltung zum Thema Aids und HIV [siehe: "Südafrika: Die ANC-Regierung und die Aids-Krise", http://www.wsws.org/articles/2000/jul2000/aids-j05.shtml]. Ich bin der Meinung, dass Sie durch Ihren Standpunkt Ihre Verantwortung als Sozialisten gegenüber der Welt und der Arbeiterklasse verweigern.

Es ist die Rolle des Sozialisten gegen jede Art von Unterdrückung zu kämpfen und eine demokratische Lösung für die Strukturen der Unterdrückung zu finden. Das ergibt sich aus der sozialistischen Ethik, die immer erklärt hat, dass unter den Bedingungen einer Demokratie das Privateigentum, die Vorherrschaft der Unternehmer und die Profitorientierung abgewählt würden zugunsten einer Gesellschaft, die Verantwortung gegenüber ihren Bürgern übernimmt. (Es funktioniert so zwar kaum, aber das ist das Ideal, das als Motor das sozialistische Vorhaben in seinen entschiedeneren und direkteren Aktivitäten antreibt.) In Ihrem Standpunkt zu Aids missachten Sie dieses Ideal.

Was sind die Probleme in Bezug auf die HIV-Theorie?

1. Die Schlussfolgerung, dass der HIV-Virus Aids verursache, entstand durch Definition und nicht, weil eine wirkliche biologische Ursachenkette entdeckt, untersucht und beschrieben wurde. Die Wissenschaft hat in den meisten Aids-Fällen einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein des HIV-Virus und Aids entdeckt, aber keine Beschreibung der Abläufe geliefert.

2. Der Zusammenhang war niemals absolut, wurde aber als absolut definiert, um Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben. Eine Erscheinung, die schon früh gegen die HIV-Theorie sprach, besteht darin, dass Aids in acht Prozent der untersuchten Fälle auftrat, obwohl der HIV-Virus nicht präsent war. Das Aids-Syndrom zeichnet sich durch ein Versagen des Immunsystems aus, so dass zufällige Krankheiten den Menschen töten, weil er keine Abwehrstoffe dagegen besitzt. HIV selbst tötet den davon befallenen Menschen nicht. All jene Fälle, in denen das Immunsystem darniederlag, ohne dass der HIV-Virus nachgewiesen werden konnte, wurden per definitionem nicht als Aids bezeichnet. Sie galten als bloße Immunschwäche. Das ist keine Wissenschaft. Es ist im Grunde Soziologie.

3. Es gibt immer noch keine Versuchsergebnisse, die schlüssig, wissenschaftlich, biologisch beweisen, dass der HIV-Virus Aids verursacht. Als die Aids-Konferenz versuchte, Mbeki davon zu überzeugen, dass er Unrecht habe, konnte sie lediglich anführen, dass 5000 Wissenschaftler "erklärt" hätten, der HIV-Virus verursache Aids. Das war ein politischer Schachzug.

4. Der HIV-Test weist nicht den HIV-Virus nach, sondern die HIV-Antikörper. Selbst wenn man die grundlegende Umkehrung der normalen Situation außer Acht lässt (nämlich dass bei jeder anderen Krankheit das Vorhandensein von Antikörpern anzeigt, dass der Körper die Krankheit unter Kontrolle hat - außer bei Aids), hat sich der HIV-Test als nicht spezifisch für HIV-Antikörper erwiesen. Tatsächlich produziert der HIV-Test bei den Antikörpern einer ganzen Reihe anderer Krankheiten ebenfalls positive Resultate - insbesondere bei Malaria.

5. Allen Wissenschaftlern (und Politikern), welche die HIV-Theorie in Frage gestellt haben, wurden die finanziellen Mittel gestrichen; sie erhielten keine Möglichkeiten mehr zur Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Presse und sie wurden im Wesentlichen unterdrückt.

Die Rolle des Sozialisten besteht nicht darin, in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung in der Sprache der Wissenschaft Stellung zu beziehen, schon gar nicht, wenn sie politisch durch einen Prozess ideologischer Definition entschieden wird. Die Rolle des Sozialisten besteht darin, gegen Unterdrückung zu kämpfen. In diesem Fall würde das bedeuten, gegen die Unterdrückung der Wissenschaftler zu kämpfen, welche die HIV-Theorie in Frage stellen und dieses In-Frage-Stellen zu begrüßen. Es würde bedeuten, zur Eröffnung einer Debatte und eines Dialogs aufzurufen. Wenn der HIV-Virus Aids verursacht, dann wird die Eröffnung der Debatte darüber es vielleicht beweisen und einer besseren Behandlung der Krankheit dienen. Wenn der HIV-Virus Aids nicht verursacht, dann wird die Unterdrückung der Wissenschaftler, die diese Frage aufwerfen, die Erforschung der Ursachen für Aids sehr lange verzögern; in der Zwischenzeit werden Millionen daran sterben - was eine doppelte Unterdrückung bedeutet. (Es ist ironisch, steht jedoch in Einklang mit der Logik der Unterdrückung, dass die Unterdrückung gewisser wissenschaftlicher Fragen zum Tod von Millionen führt, die Unterdrückung jedoch mit der Begründung erfolgt, dass Millionen sterben.)

Sie müssen sich fragen, warum der Westen, die US-Regierung und die US-Medien so aus dem Häuschen gerieten, weil Mbeki Fragen in Bezug auf Aids stellte. Im Grunde hat er nichts anderes getan. Er rief Duesberg an, und das sorgte für Schlagzeilen. [Peter Duesberg, Professor für Molekularbiologie in Berkeley, der Universität von Kalifornien, ist allgemein bekannt als der Kopf der Aids-"Dissidenten" oder genauer "Leugner", d. h. der Wissenschaftler, die bestreiten, dass der HIV-Virus Aids verursacht - der Herausgeber.] Wovor hat der Westen Angst? Ja, das wissen wir doch alle. Aids ist im Verlauf des letzten Jahrzehnts zum wichtigsten Instrument der kulturellen Kontrolle Afrikas geworden. Der Westen behauptet Zahlen über die in Afrika an Aids Erkrankten zu haben, über die er gar nicht verfügt - die Zahlen entstehen durch Computerhochrechnungen. Der Westen benutzt diese Zahlen dann, um zu verschleiern, dass Hunger das Immunsystem zerstört - Hunger, der durch die SAPs [Structural Adjustment Programs = Strukturanpassungs-Programme - Hrsg.] des IWF hervorgerufen wird. Auf diese Weise macht er Aids für die daraus resultierenden Toten verantwortlich, ohne es zu beweisen, benutzt dies, um diese Länder in noch größere Schuldenabhängigkeit vom IWF zu treiben und stellt seine kulturelle Position in Afrika durch seine "humanitäre" Sorge sicher, der durch alle Institutionen der Welt Ausdruck verliehen wird. (Wir dürfen nicht vergessen, dass "humanitär" für die USA bedeutet, Bomben auf Zivilisten zu werfen.) Und in Afrika bedeutet der Begriff "humanitär" die bunte Reklamefläche, hinter der sich die Drohungen mit wirtschaftlichem Boykott verbergen.

Sie haben in Ihrem Artikel über Südafrika und Aids die Theorie akzeptiert, dass der HIV-Virus Aids verursacht. Sie stehen deshalb auf der Seite der Unterdrückung und speziell auf der Seite derjenigen, die Wissenschaftler unterdrücken, die die HIV-Theorie in Frage stellen und auf der Seite derjenigen, die die Position des IWF in Afrika verteidigen.

Steve Martinot

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Lieber Mr Martinot,

In Ihrem Verlangen gegen die "Strukturen der Unterdrückung" zu kämpfen und in Ihrer Eile, die "World Socialist Web Site" zu beschuldigen, ihre Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse nicht wahrzunehmen, haben Sie die Argumente der Aids-Dissidenten unkritisch übernommen. Für jemanden, der behauptet Sozialist zu sein, ist es leichtfertig, sich diese Argumente zu eigen zu machen, ohne die enorme Menge an wissenschaftlichen Beweisen und detaillierten Analysen zu berücksichtigen, die deren Behauptungen widerlegen; und es ist - angesichts der schwerwiegenden Bedeutung des Themas - außerdem unverantwortlich. (Ein Teil des Materials, das im Internet verfügbar ist und die Dissidenten widerlegt, findet sich unter http://www.niaid.nih.gov/spotlight/hiv00/default.htm)

Ich werde noch auf Ihre Definition des Sozialismus zurückkommen, aber zuerst auf die von Ihnen angesprochenen Punkte eingehen:

1. Es ist richtig, dass die Wissenschaftler noch viel darüber herausfinden müssen, wie genau der HIV-Virus Aids verursacht. Aber Ihre Forderung nach einer genauen Kenntnis "der wirklichen biologischen Ursachenkette" - vermutlich in Form der molekularen Prozesse innerhalb der menschlichen Zelle - bevor man die Ursache einer Krankheit als erkannt voraussetzt, ist, offen gesagt, lächerlich. Auf den meisten Gebieten der medizinischen Wissenschaft sind solche Prozesse noch nicht bekannt oder unvollständig verstanden. Das Standardverfahren für den Nachweis einer Krankheitsursache besteht darin, zu verifizieren, ob die Koch'schen Grundbedingungen erfüllt sind. Neben einem hohen statistischen Zusammenhang verlangen diese, dass der Krankheitserreger außerhalb des Wirtes isoliert werden kann und dass die Übertragung des Erregers auf einen nicht infizierten Wirt (Mensch oder Tier) die Krankheit hervorruft. Es gibt Dutzende von wissenschaftlichen Arbeiten, die beweisen, dass in diesem Sinne der HIV-Virus Aids verursacht.

2. Es ist richtig, dass die medizinische Standarddefinition von Aids eine Infektion mit dem HIV-Virus einschließt. An dieser Herangehensweise ist nichts Unwissenschaftliches oder "Soziologisches" - sie wird angewandt, um eine exakte Diagnose zu ermöglichen. Wenn man Aids nach Ihren Kriterien definiert als ein "Syndrom", das sich auszeichnet "durch ein Versagen des Immunsystems [...], so dass zufällige Krankheiten den Menschen töten, weil er keine Abwehrstoffe dagegen besitzt" - wie soll dieser Zustand dann in der Praxis nachgewiesen werden? (Nebenbei bemerkt ist Ihre Definition nicht so weit gefasst wie diejenige von Duesberg. Er benutzt eine Definition von Immunschwäche, die so breit ist, dass sie auch Personen umfasst, die nicht daran sterben.) Eine verringerte Zahl von CD4+ T-Lymphozyten ist normalerweise die bevorzugte Methode. Daher rührt wahrscheinliche Ihre Zahl von 8 Prozent, weil es Personen mit verringerten CD4+-Werten gibt, die nicht HIV-infiziert sind. Damit Aids vorliegt, müssen jedoch die CD4+-Werte über einen gewissen Zeitraum niedrig bleiben (sich über Jahre hinweg stetig verringern). Eine Reihe von detaillierten Studien ermittelten keine Menschen der letzteren Kategorie, die HIV-negativ waren, es sei denn, sie litten unter bekannten Krankheiten (Krebs, Tuberkulose etc.), die schon vor Aids existierten.

3. 5000 Unterschriften von Wissenschaftlern zu sammeln, war nicht einfach ein "politischer Schachzug", sondern diente dazu, eine Sache zu verteidigen, die durch eine enorme Menge an detaillierter Forschungsarbeit gestützt wird.

4. Ihre Bemerkung, dass das Vorhandensein von Antikörpern bei jeder anderen Krankheit außer bei Aids anzeige, dass der Körper die Krankheit unter Kontrolle habe, ist nicht richtig. Es gibt Krankheiten, bei denen eine ernsthafte Erkrankung erst Jahre nach der ursprünglichen Infektion auftritt - wie z. B. bei Herpes und Hepatitis. Solche Infektionen können den Körper dazu anregen Antikörper zu bilden, in manchen Fällen geschieht das über Jahre hinweg ohne irgendwelche Zeichen offensichtlicher klinischer Erkrankung.

Ihre Behauptung über die HIV-Tests ist ein Märchen, das in Publikationen der Aids-Dissidenten in Umlauf gesetzt wurde und auf ein oder zwei Fällen basiert, in denen der Test versagt hat. Tatsächlich sind die gegenwärtigen HIV-Antikörper-Tests verlässlicher in Bezug auf die Reaktionsfähigkeit (sie geben ein positives Resultat, wenn die entsprechende Person erkrankt ist) als auch in Bezug auf die Präzision (sie geben ein negatives Resultat, wenn die entsprechende Person nicht erkrankt ist), als die Tests für die meisten anderen ansteckenden Krankheiten - mit einer Rate von 98 Prozent für beide Fälle. Da die Tests normalerweise mehr als einmal gemacht werden, sind die Ergebnisse extrem zuverlässig.

5. Sie führen keine Bespiele dafür an, wo finanzielle Mittel gestrichen wurden oder die Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Literatur verweigert wurde. Duesberg behauptet zwar, dass ihm Derartiges widerfahren sei. Aber beides ist nicht ungewöhnlich in der modernen wissenschaftlichen Praxis und kommt nicht nur bei Aids-Dissidenten vor. Regierungsgelder werden immer häufiger auf der Grundlage vergeben, ob die Forschung Resultate erbringt, die von unmittelbarem Nutzen für die Unternehmen oder den Handel sind. Wissenschaftliche Zeitschriften werden oft von einer reaktionären Clique herausgegeben, die Arbeiten zurückweist, die nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmen. Zu behaupten, dass die Tausende Wissenschaftler, die sich mit solchen Problemen herumschlagen, einer "grundlegenden Unterdrückung" ausgesetzt sind, ist pure Übertreibung.

In den meisten Wissenschaftszweigen gibt es Individuen oder Gruppen von Individuen, welche die allgemein akzeptierten Ansichten oder die Interpretation der Beweise in Frage stellen. Der freie Informationsfluss und die Diskussion ist wesentlich für den wissenschaftlichen Fortschritt, und zumindest in den Naturwissenschaften - wo die Nachfrage nach technologischen Innovationen im Vordergrund steht - hat beides trotz der heutigen Gepflogenheiten der Konzerne, überall geistige Eigentumsrechte anzumelden, bisher weitgehend Bestand. Unorthodoxe Ansichten werden irgend wann vom wissenschaftlichen Establishment ernst genommen, wenn sie eine rationale Grundlage haben. Konzepte, denen es an Glaubwürdigkeit mangelt, werden normalerweise einfach übergangen. Nichts anderes widerfuhr den Theorien Duesbergs und seiner Anhänger.

Selbst auf dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte - er leistete einen wichtigen Beitrag zur Krebsforschung - und mit seinem kämpferischen Stil gelang es Duesberg nicht, in wissenschaftlichen Kreisen besonderen Eindruck zu machen. Angesichts des gewaltigen öffentlichen Interesses an Aids und angesichts des in den 80er und frühen 90er Jahren vorherrschenden Eindrucks, die medizinische Forschung sei der Seuche nicht Herr geworden, stießen er und andere jedoch auf erhebliches Interesse - in den Medien, in der Bewegung für die Rechte von Homosexuellen der 80er Jahre (die gehofft hatten, eine HIV-Infektion würde nicht unausweichlich zu Aids führen) und bei der religiösen Rechten (die versuchte zu beweisen, die Ursache für Aids liege in einem "ausschweifenden Lebensstil" und nicht in einer Infektion, die jeden treffen kann). Als Medikamente gegen Retroviren zur Verfügung standen, ging das Interesse an den Ansichten der Dissidenten zurück, aber die gewaltige Aids-Krise in Afrika und jetzt Mbekis Auftritt sorgten dafür, das es wieder erwacht ist.

Von einer Meinungsunterdrückung in Bezug auf die Dissidenten unter den Wissenschaftlern zu sprechen ist Unsinn. Duesberg und seine Gruppe von Anhängern haben durch das Interesse der Medien und neuerdings eine 750 Seiten umfassende Internetadresse seit mehr als einem Jahrzehnt beträchtliche finanzielle Unterstützung und eine große Bekanntheit erlangt. Eine Folge von Artikeln in der Londoner "Times" haben Duesberg ebenso unterstützt wie der Korrespondent des ABC für den medizinischen Nachrichtenbereich, Nicholas Regush, der sich erst kürzlich hinter die Ansichten der Dissidenten stellte. Der "South African Mail and Guardian" zufolge wurden im Juli 1999 Duesbergs Buch "Inventing the Aids Virus" [Die Erfindung des Aids-Virus] und ein Papier, das eine Anhörung zur Vergabe von Forschungsgeldern der Regierung forderte, durch eine rechtsgerichtete Lobby an alle Mitglieder des US-Kongresses verteilt.

Ihre Forderung nach einer "Eröffnung des Diskussion" über diese Frage ist irgendwo lächerlich angesichts der Unmengen an Material, das es über dieses Thema gibt, einschließlich der Tausenden Seiten im Internet.

Genauso unrichtig ist, dass Sozialisten in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen keine Stellung beziehen. Das trifft nur dann zu, wenn wissenschaftliche Theorien sich noch im Stadium der Hypothese befinden, Aber wenn man es mit einer Theorie zu tun hat - wie der, dass der HIV-Virus Aids verursacht -, die einer gründlichen Analyse, Testreihen und praktischen Anwendungen unterzogen wurde, ist es durchaus sozialistische Tradition, diese Theorie als Teil der materialistischen Weltanschauung im Gegensatz zu Mystizismus und Aberglaube zu verteidigen. Diese Haltung hat schon Marx in Bezug auf Darwins Theorie der Evolution eingenommen. Sie gilt ganz besonders dann, wenn die Wahrheit der wissenschaftlichen Theorie, wie Sie selbst bemerkt haben, das Leben von Millionen Menschen betrifft.

In diesem Zusammenhang sollte man auch Folgendes erwähnen: Obwohl der Einsatz von Medikamenten gegen Retroviren keine Heilung von Aids bedeutet - unsere Position ist auf jeden Fall, dass die Forschung zur Herstellung eines Impfstoffs massive finanzielle Unterstützung bekommen und den Pharmakonzernen entzogen werden sollte -, trifft die Meinung der Dissidenten, Aids könne durch diese Medikamente nicht in Schach gehalten und Todesfälle könnten dadurch nicht verhindert werden, einfach nicht zu. Statistiken für die USA zeigen einen dramatischen Rückgang der Todesfälle bei Aids seit 1996, dem Jahr, als eine Kombination aus drei Medikamenten in umfassendem Maße eingesetzt wurde. Diese Zahlen widerlegen Duesberg und Co. mehr als alles andere.

Ihr Argument, dass Aids "zum wichtigsten Instrument der kulturellen Kontrolle Afrikas" geworden sei, steht in der Tradition wüster Verschwörungstheorien über Aids, die seit den 80er Jahren sowohl von kleinbürgerlichen Radikalen als auch in rechten Kreisen verbreitet werden. Der nationalistische Demagoge Louis Farrakhan hat zum Beispiel die Idee vertreten, dass Aids Teil eines Plans der US-Regierung sei, die Schwarzen auszurotten. Diese Theorien vom Typ X-File haben im gegenwärtigen Klima politischer Konfusion und Antipathie gegen die westlichen Regierungen wie auch des Misstrauens gegen das wissenschaftliche und medizinische Establishment zwar Einfluss gewonnen, sie haben allerdings keinerlei Zusammenhang mit der Tradition des wissenschaftlichen Sozialismus.

Bei der Aufdeckung von Verschwörungen, wie z. B. bei der Vertuschung, die die britische Regierung in Bezug auf BSE (Rinderwahnsinn) organisiert hat, haben wir immer auf einer peinlich genauen Untersuchung der Beweise bestanden. Es ist auf jeden Fall richtig, dass regierungstreue Wissenschaftler aus Angst um ihren Arbeitsplatz, und um die Rindfleischindustrie zu verteidigen, in Bezug auf BSE die Wahrheit vertuscht haben, dass nämlich die Krankheit von Rindern auf Menschen übergreifen kann. Es gab jedoch Wissenschaftler, die gegen das Vertuschungsmanöver aufgetreten sind und in einigen Fällen daraufhin ihren Arbeitsplatz verloren haben. Das Material, das diese Wissenschaftler vorgelegt haben, wurde zur damaligen Zeit von der britischen Socialist Equality Party benutzt, um die Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung aufzudecken. (Im Unterschied zum BSE-Fall gibt es keinen Hinweis darauf, dass Wissenschaftler wegen der Kontroverse um Aids ihren Job verloren haben - zumindest gab es keinen solchen Hinweis auf den Internetseiten der Dissidenten).

Ihre Einschätzung von Aids in Afrika würde bedeuten, dass westliche Regierungen, die Vereinten Nationen, die Weltgesundheits-Organisationen sowie Zehntausende Wissenschaftler und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen allesamt an einer Verschwörung beteiligt sind, was auch beinhaltet, dass sie Statistiken über Millionen von Aids-Toten erfinden. (Ich nehme an, dass Sie mit dem Satz "der Westen behauptet Zahlen über die in Afrika an Aids Erkrankten zu haben, über die er aber nicht verfügt" meinen, die Zahlen seien stark übertrieben). Dass eine solche Entstellung der Statistiken im Weltmaßstab möglich sein soll, ohne dass auch nur einer unter den Tausenden von Fachkräften, die die Statistiken zusammentragen - und die für die verschiedensten Regierungen einschließlich afrikanischer Regierungen wie auch für nicht regierungsabhängige Stellen arbeiten -, dagegen opponiert, ist unvorstellbar. Aber davon abgesehen, warum sollte man zu solch extremen Maßnahmen greifen, um die Armut zu vertuschen - das Motiv, das Sie für diese kollektive Lügenoperation angeben? Der Westen (zum Beispiel die Weltbank und die UN) veröffentlichen regelmäßig Zahlen, die den Anstieg der Armut und des gesellschaftlichen Verfalls in Afrika aufzeigen, der aus den Strukturanpassungsprogrammen des IWF resultiert. Die westlichen Politiker reagieren darauf, indem sie die afrikanischen Regierungen und Führer beschuldigen, nicht in der Lage zu sein, die verordnete Medizin des freien Marktes in ausreichendem Maße anzuwenden; sie soll angeblich den Reichtum hervorbringen, mit dem die Armut überwunden wird.

Sie missachten die Notwendigkeit, rational zu argumentieren, und Sie missachten die Beweise. Es gibt Statistiken im Überfluss, die den ungewöhnlichen Anstieg von Todesfällen junger Leute in Ländern wie Zimbabwe und Botswana zeigen, die keinesfalls zu den ärmsten in Afrika gehören. Sie können natürlich argumentieren, die Statistiken im gesamten Afrika südlich der Sahara seien unzuverlässig und "kulturell kontrolliert". (Das ist allerdings sehr leicht angreifbar - wissenschaftliche Studien, die auf sorgfältig zusammengetragenen Zahlen und Computerberechnungen dieser Daten beruhen, d. h. auf statistischen Standardmethoden, die überall angewandt werden, gibt es für eine Reihe afrikanischer Staaten). Sie können jedoch die neuesten Zahlen aus Südafrika nicht anzweifeln, denn die sind unstreitig. Selbst Mbeki musste zugeben, dass es eine Aids-Krise in Südafrika gibt, weil die Zahlen einen gewaltigen Anstieg der Todesfälle durch Aids zeigen, was sogar Menschen in Gebieten betrifft, die nicht unter extremem Hunger leiden.

Mbekis Problem besteht darin, dass er als kapitalistischer Politiker und entschiedener Anhänger der Politik des freien Marktes davon ablenken muss, dass er nicht die Absicht hat, die westlichen Regierungen in diesem Punkt ernsthaft anzugreifen und den gewaltigen Einsatz internationaler Mittel und Gelder zu fordern, die nötig wären, um sich ernsthaft der Aids-Krise in Afrika und überall in den unterentwickelten Ländern anzunehmen. Die Dissidenten-Wissenschaftler zu unterstützen und demagogische Bemerkungen über die Armut als das "eigentliche Problem" fallen zu lassen - ohne irgendeine Politik vorzuschlagen, mit der die Armut bekämpft werden soll - ist ein eigennütziger Kunstgriff. Mbeki und die ANC-Regierung, die im Rahmen eines Privatisierungsprogramms dabei sind, die Staatsausgaben drastisch zu kürzen - was wiederum die Armut und die Arbeitslosigkeit verschärft - werden wohl kaum öffentliche Gelder fordern, um gegen die Aids-Epidemie vorzugehen. Bislang haben sie sich geweigert, selbst HIV-positiven schwangeren Müttern und Opfern von Vergewaltigungen Medikamente gegen Retroviren zu finanzieren. Da ihr gesamtes Wirtschaftsprogramm darauf basiert, westliche Investitionen anzulocken, sind sie auch außerstande, ernsthaft gegen die riesigen Profite, die die transnationalen Konzerne mit den Medikamente gegen Aids machen, vorzugehen.

Erlauben Sie mir zum Schluss eine kurze Bemerkung über Ihre Auffassung von sozialistischer Politik. Ihrer Definition des Sozialismus, die auf vagen und abstrakten Vorstellungen von Demokratie und Unterdrückung basiert, mangelt es genauso an kritischem Denken und einem ernsthaften Studium der darin beinhalteten Fragen wie Ihrer Behandlung des Themas Aids. Vermutlich stammen Ihre Ideen aus dem radikalen Protestmilieu. Ich würde Ihnen vorschlagen, statt weiter Ihre Zeit zu vergeuden, ein ernsthaftes Studium der wissenschaftlich entwickelten Methode des Sozialismus zu beginnen, die basiert auf einem Verständnis des Klassencharakters der kapitalistischen Gesellschaft, entwickelt von Marx, Lenin, Luxemburg, Trotzki und anderen, und die Sie auf den Seiten des WSWS in allen Einzelheiten ausgearbeitet finden.

Mit freundlichem Gruss

Chris Talbot

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