Ähnlich wie in Deutschland nehmen auch in Schweden die Aktionen von Neonazis seit längerer Zeit immer gewalttätigere Formen an. Allein 1999 fanden drei Morde und ein Bombenanschlag statt:
- Im Juni 1999 wurden ein Journalist und sein achtjähriger Sohn durch eine Autobombe schwer verletzt. Der Journalist hatte zusammen mit einem Kollegen über Nazi-Aktivitäten in Schweden recherchiert und berichtet.
- Im Oktober 1999 ermordeten Faschisten den Gewerkschaftsführer Björn Söderberg. Söderberg hatte sich dafür eingesetzt, den Rechtsradikalen Robert Vesterlund von seinem Posten als gewerkschaftlicher Vertrauensmann abzusetzen. Vesterlund soll Mitglied der gewalttätigen schwedischen faschistischen Organisation Arische Bruderschaft bzw. Nationalsozialistische Front sein. Nach seiner Absetzung hörte man Vesterlund sagen: "Es ist Zeit, durchzugreifen". Von der Passbehörde forderte er ein Foto Söderbergs an, das er auch erhielt.
- Bei einem Banküberfall in der Kleinstadt Malexander wurden zwei Polizisten aus nächster Nähe erschossen. Die Täter kamen aus dem Umkreis der Arischen Bruderschaft. Logistische Unterstützung erhielten sie von Svea SA, einer Organisation, die enge Beziehungen zur Nationalsozialistischen Front (Nationalsocialistisk Front, NSF) pflegt.
- Die schwedische Ex-Justizministerin Leila Freivalds erhielt eine Briefbombe zugeschickt, die glücklicherweise nicht explodierte.
Rechtsradikale Straftaten nehmen zu. 1999 wurden 2.703 registriert. Seit 1990 sind 16 Morde an Ausländern, Homosexuellen und Polizisten aktenkundig.
Neu an der Gewalt der Neonazis ist, dass sie sich offen gegen Repräsentanten des Staates, der Justiz und der Presse richtet. Morddrohungen gegen Richter, Staatsanwälte und Journalisten häufen sich. Zeugen in Strafprozessen gegen Neonazis werden durch Drohungen eingeschüchtert, so dass sie keine Aussagen machen oder bereits gemachte Aussagen widerrufen. Erleichtert wird den Rechten ihr Vorgehen durch die Möglichkeit, mittels des sogenannten "Öffentlichkeitsprinzips" ganz legal Informationen und sogar Fotos über andere Personen und deren Familien bei Behörden zu erhalten. Die Polizei ist verpflichtet, über jedermann Informationen herauszugeben, sofern diese in "öffentlichen Akten" enthalten sind.
Was Schwedens Einwandererbevölkerung betrifft, so ist sie seit Jahren gewalttätigen Angriffen auf offener Straße, Brandanschlägen und rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt. In den frühen neunziger Jahren, als die Zahl der Asylbewerber vor allem infolge des jugoslawischen Bürgerkriegs stark anstieg, verschärfte sich die Situation. Das Thema Einwanderung wurde in der offiziellen politischen Diskussion hochgekocht, Asylbewerber und Einwanderer dienten als Sündenbock für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und die Regierung erließ härtere Bestimmungen für Einwanderer.
1992 gab es 79 Brandanschläge auf Asylantenwohnheime. Nicht alle diese rassistischen Angriffe gingen auf das Konto organisierter faschistischer Gruppen. Studien haben gezeigt, dass Gewalt gegen Asylanten oft von betrunkenen Individuen und rückständigen Jugendlichen verübt wurde, ermutigt durch die offiziell propagierte Ideologie, dass die Zunahme der Asylbewerber für die wachsende Arbeitslosigkeit zu Beginn der neunziger Jahre verantwortlich sei.
Die offizielle Politik war aber nicht nur eine wichtige Ursache der neonazistischen Gewalt, sie ignorierte, verharmloste und begünstigte sie auch lange Zeit. Bereits Anfang der neunziger Jahre waren rechtsextreme Straftaten zu verzeichnen. Doch statt als politisches Problem wurde sie eher als Ausdruck irregeleiteter Jugendlicher oder stumpfsinniger Schläger angesehen. Sogenannte Resozialisierungsmaßnahmen sollten dem entgegenwirken. Davon ist man zwar abgekommen, doch wurden auch später noch Neonazis vor Gericht als harmlose Dummköpfe behandelt. Inzwischen haben die Behörden eine etwas härtere Gangart eingeschlagen, denn die herrschenden Kreise fürchten als Folge rechter Gewalt einen wirtschaftlichen und Imageschaden für den Standort Schweden.
Das schwedische Modell
Besonders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb sich Schweden den Ruf eines Vorzeige-Wohlfahrtsstaates. Durch seine offizielle Neutralitätspolitik war das Land weitgehend von negativen Folgen des Kriegs verschont geblieben. Die schwedische Industrie konnte sich auf einen vollständig intakten Produktionsapparat stützen. Auf der Basis des weltweiten Wirtschaftsaufschwungs schufen die verschiedenen sozialdemokratisch geführten Regierungen ein engmaschiges Netz sozialer Leistungen und Sicherungen sowie einen ausgedehnten öffentlichen Sektor. Die enge Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit Unternehmen und Regierung sorgte dafür, dass der soziale Frieden kaum durch Streiks gestört wurde. Der Wohlfahrtsstaat schien die Reformierbarkeit des Kapitalismus und die Lebensfähigkeit eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu bestätigen. Die Schweden mussten weder vor Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit Angst haben, da die Sozialversicherungsleistungen außerordentlich großzügig waren.
Die Ölkrise von 1973/74 erschütterte diesen Glauben. Sie traf die von Erdölimporten stark abhängige schwedische Wirtschaft empfindlich. Das Wirtschaftswachstum, das in den sechziger Jahren bis zu fünf Prozent jährlich betragen hatte, sank auf zwei Prozent. Diese Wachstumsrate hatte in den siebziger Jahren noch Bestand, wurde aber seit den achtziger Jahren bis weit in die neunziger Jahre hinein nicht mehr erreicht. Während Schweden beim Bruttosozialprodukt pro Kopf 1970 noch an dritter Stelle in der Liste der 24 OECD-Länder lag, war es 1991 auf den 14. Platz abgerutscht. Die Arbeitslosigkeit und vor allem die Staatsverschuldung stiegen massiv an.
1976 wurden die Sozialdemokraten (SAP) abgewählt. Die konservative Regierung (1976-1982) führte erstmals Kürzungen bei den Sozialleistungen durch und senkte Steuern und Abgaben für die Besitzenden.
Die zunehmende Globalisierung hatte weitreichende Auswirkungen auf die schwedische Wirtschaft. Zwar war Schweden, schon seit es zu Beginn des Jahrhunderts zur Industrienation aufgestiegen war, stark in die Weltwirtschaft integriert. Sein relativ kleiner Binnenmarkt brachte es mit sich, dass die schwedische Wirtschaft seit jeher stark vom Export abhängt. Mehr als vierzig Prozent der schwedischen Industrieproduktion gehen ins Ausland. Mit der Globalisierung wurde jedoch nicht nur der Handel, sondern auch die Produktion selbst mehr und mehr international organisiert und in allen Aspekten dem Diktat der globalen Finanzmärkte unterworfen. Dadurch hatte die internationale Rezession zu Beginn der neunziger Jahre für die schwedische Wirtschaft besonders schwerwiegende Folgen. Einige traditionell wichtige Industriezweige - Textil, Eisenerz, Schiffsbau - konnten sich auf dem Weltmarkt nicht gegen die Konkurrenz aus den Billiglohnländern Südostasiens und Südeuropas sowie aus Australien und Brasilien (Eisenerz) behaupten und verloren weitgehend ihre Bedeutung.
Die Arbeitslosigkeit, die Anfang 1990 noch bei 1,5 Prozent gelegen hatte, schnellte in Höhen wie zuvor nur während der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. 1994 lag sie noch bei 14 Prozent. Die konservative Regierung unter Carl Bildt (1991-94) wie auch die seit 1994 wieder regierenden Sozialdemokraten führten in vielen Bereichen einschneidende Sparmaßnahmen durch. Gekürzt wurden u. a. das Arbeitslosengeld, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ausbildungsbeihilfen, das Kindergeld sowie das sogenannte Elterngeld (ähnlich dem hierzulande bekannten Mutterschaftsgeld, aber wesentlich höher). 1995 verabschiedete die SAP-Regierung eine Rentenreform, die für alle nach 1954 Geborenen eine drastische Verschlechterung bedeutet. Parallel zu diesen Sparmaßnahmen wurden die Steuern für Reiche und Unternehmen deutlich gesenkt. Börsenspekulanten konnten in den letzten Jahren auch in Schweden kräftig absahnen.
Schwedens Beitritt zur EU 1995 trug zusätzlich zur Demontage des Wohlfahrtsstaates bei. Um die Kriterien des Maastricht-Vertrages zu erfüllen, die vor allem den Abbau der galoppierenden Staatsverschuldung und der Inflation forderten, wurden Krisenpakete geschnürt und Sparhaushalte verabschiedet. Vor allem dem öffentlichen Sektor, dem der größte Teil der Beschäftigten angehört, wurden harte Kürzungen verordnet. Schwedische Konzerne gingen Fusionen ein und verlagerten Teile ihrer Unternehmen in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten.
Der schwedische Arbeitgeberverband forcierte die Abschaffung des Systems der zentralisierten Tarifverhandlungen, das 1990 aufgegeben wurde und an dessen Stelle Verhandlungen mit den Einzelgewerkschaften traten. Das Ergebnis war eine differenziertere Lohnentwicklung und ein Anwachsen der Einkommensunterschiede. Diese durch die sogenannte "solidarische Lohnpolitik" einzuebnen war gerade ein wichtiger Bestandteil des schwedischen Modells gewesen. Ihre Bedeutung lässt sich ermessen, wenn man berücksichtigt, dass die Löhne in Schweden um einiges niedriger liegen als etwa in der Bundesrepublik, dies aber durch die umfassenden Sozialleistungen kompensiert wurde - von denen heute nun nur noch Bruchstücke vorhanden sind.
Die Politik der letzten zehn Jahre traf vor allem die sozial Schwachen - Arbeitslose, Familien mit Kindern, Jugendliche, Einwanderer und Flüchtlinge, Kranke. Eine Studie in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet von 1999 zeigt auf, dass die Ungleichheit im Gesundheitsbereich in Schweden und im Rest von Skandinavien stärker ausgeprägt ist als im übrigen Europa. Verantwortlich dafür sind nicht nur die konservativen Parteien, sondern vor allem jene politische Kraft, die mit dem Ausbau des schwedischen Wohlfahrtsstaates identifiziert wurde - die Sozialdemokratie.
Die sozialen Folgen werden von vielen als Ursache für die zunehmenden rechtsradikalen Tendenzen in der schwedischen Gesellschaft angeführt. Zweifelsohne gibt es hier einen Zusammenhang, doch reicht er als alleinige Erklärungsursache nicht aus. Vielmehr muss untersucht werden, weshalb die Aushöhlung sozialer Errungenschaften nicht in ein Aufbegehren der arbeitenden Bevölkerung gegen die kapitalistische Gesellschaft mündet.
Die Ideologie des schwedischen Modells
Die Gründe dafür sind in der dem schwedischen Modell zugrundeliegenden Ideologie und Politik selbst zu suchen. Per Albin Hansson, der damalige Vorsitzende der SAP, trat 1928 mit seiner "Volksheim"-Theorie hervor. Das Volksheim Schweden sollte seinen Bürgern durch den "Abbau aller sozialen und wirtschaftlichen Schranken in der Gesellschaft" Sicherheit bieten. Das Recht auf Arbeit sollte gleichberechtigt neben das Recht des Kapitals auf Gewinn gestellt und die Klassengegensätze so ausgeglichen werden.
In seiner Theorie vom "Volksheim" Schweden verglich er die schwedische Gesellschaft mit einer Familie, in der die einzelnen Familienmitglieder ihre Interessen und ihr Handeln dem Erhalt der Familie unterordnen müssen. Konflikte müssen gelöst werden, indem sich alle an einen Tisch setzen und einen Konsens finden.
Hansson übertrug damit die reformistische Position der internationalen Sozialdemokratie auf Schweden: Im Rahmen der nationalen Wirtschaft sollte durch die enge Zusammenarbeit zwischen Arbeit und Kapital ein Ausgleich der Interessen stattfinden, Einkommensunterschiede eingeebnet und der soziale Friede gesichert werden.
In der Tat arbeitete der Gewerkschaftsdachverband LO von nun an aufs innigste mit dem Arbeitgeberverband (SAF) zusammen. Schließlich wurde diese Klassenzusammenarbeit im Abkommen von Saltsjöbaden 1938 zwischen beiden Seiten offiziell festgeschrieben. Ein ausgeklügeltes System für den Ablauf von Tarifverhandlungen und die Lösung von Arbeitskonflikten wurde geschaffen und ergänzt durch die Einrichtung von zahlreichen Ausschüssen, die bei Unstimmigkeiten das letzte Wort hatten. Oberstes Ziel war die Erzielung eines Konsens und die Vermeidung von Arbeitskämpfen.
Eine wichtige Rolle in dieser Klassenzusammenarbeit spielte die enge organisatorische Beziehung zwischen Sozialdemokratischer Partei (SAP) und Gewerkschaften (LO). Bei der Gründung der LO 1898 hatte der Kongress die Zwangsmitgliedschaft der Gewerkschaftsmitglieder in der SAP beschlossen. Bis 1987 bestand die Mitgliedschaft der SAP zu 97 Prozent aus Mitgliedern der LO. Forderungen und Ziele, die die LO in Verhandlungen mit den Unternehmern nicht durchsetzen konnte, versuchte sie über ihren parlamentarischen Hebel, die SAP, zu verwirklichen.
Die Kontrolle der SAP und LO über die Arbeiterklasse wurde von links kaum jemals ernsthaft gefährdet. Die Kommunistische Partei Schwedens, 1921 als Sektion der Komintern gegründet, spaltete sich bereits 1924, wobei die Minderheit in die SAP eintrat. Die Partei der schwedischen Stalinisten, die sich seit längerer Zeit Linkspartei nennt, spielte in den vergangenen Jahrzehnten häufig die Rolle einer parlamentarischen Mehrheitsbeschafferin für die SAP. Zwar meldet sie seit den letzten, für sie erfolgreichen Reichstagswahlen 1998 (zwölf Prozent der Stimmen) eigene Ansprüche an, doch kommt ihre "Opposition" keineswegs von links. Insbesondere lehnt sie die Mitgliedschaft Schwedens in der EU aus rein nationalistischen Erwägungen ab.
Die Politik des Wohlfahrtsstaates konnte nur Erfolg haben, solange die nationale Wirtschaft eine relativ eigenständige Rolle im Rahmen des Weltmarktes spielte. Vom Wirtschaftswachstum und wachsenden Unternehmensprofiten konnte die Arbeiterklasse mittels ihrer traditionellen Organisationen Lohnsteigerungen und soziale Leistungen abzwacken. Die nationale Wirtschaft und der Nationalstaat haben jedoch durch die Internationalisierung der Produktion ihre relative Unabhängigkeit eingebüsst. Der Weltmarkt und die internationalen Finanzmärkte dominieren inzwischen jeden Aspekt der Wirtschafts- und Sozialpolitik der einzelnen Regierungen. Der erbitterte Konkurrenzkampf der großen transnationalen Konzerne gebietet, Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen zu kappen, um sich gegen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt durchzusetzen. Der Politik des sozialen Ausgleichs ist damit die materielle Grundlage entzogen.
Die jahrzehntelange Vorherrschaft der Sozialdemokratie hat - wie in vielen anderen Ländern auch - zu einer Entmündigung und politischen Orientierungslosigkeit der Arbeiterklasse geführt. An die Stelle politischer Erziehung und Förderung des eigenständigen Denkens und Handelns hat die Politik des Wohlfahrtsstaates die bürokratische Bevormundung der arbeitenden Bevölkerung gesetzt. Die Arbeiterklasse wurde politisch und ideologisch entwaffnet und kann daher den Angriffen auf ihre Errungenschaften, die heute von "ihrer" SAP durchgeführt werden, keine eigene politische Perspektive entgegensetzen. In diesem Vakuum gedeihen die rechtsradikalen Strömungen.
Dies muss aber nicht zwangsläufig so bleiben. Notwendig ist eine politische Neuorientierung der arbeitenden Bevölkerung. Dem Nationalismus ihrer bestehenden Organisationen muss die Arbeiterklasse ein eigenständiges internationalistisches Programm entgegensetzen, das für eine sozialistische Gesellschaftsordnung eintritt, die die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Anhäufung von Profit an die erste Stelle setzt. Das ist der Ausweg aus der Sackgasse, in die die Politik des Wohlfahrtsstaates und der Klassenzusammenarbeit geführt haben.