Der Börsengang der Deutschen Post

Vom nationalen Monopolisten zum Global Player

"Aufgepost..." - mit diesem locker-flockigen, gottschalkschen Slogan bewirbt die deutsche Post von Plakatwänden ihren Börsengang. In den im gleichen Stil gehaltenen Fernsehspots wird der globale Logistikmarkt als einer der Hauptwachstumsmärkte der Zukunft gepriesen und die Deutsche Post World Net (DPWN) - das globale Logistikunternehmen - als Schnittstelle zwischen E-Commerce und Mensch: "Sie machen ‚Klick‘, wir machen den Rest." Der lockere Ton dieser 100 Millionen Mark teuren Werbekampagne soll die weitreichenden Auswirkungen des Börsengangs sowohl auf die Postbeschäftigten als auch auf die Bevölkerung verschleiern.

Die Unternehmensleitung reagiert damit nicht nur auf die Liberalisierung der Postmärkte, sondern ist einer der Motoren, die diesen Prozess voran treiben. Die Tatsache, dass damit ein knapp 130-jähriges staatliches Monopol endgültig seinem Ende entgegen geht, findet keine Beachtung, hat jedoch selbst eine zehnjährige Geschichte: Bereits 1989 beschloss die damalige Bundesregierung per Postreform die Aufteilung des riesigen Monopolisten in Postbank, Postdienst und Telekom, wobei die beiden ersteren bereits wieder zusammengeschlossen sind. Als Ziel galt bereits damals die endgültige Überführung der Unternehmen aus Staatsbesitz in das Eigentum privater Investoren.

Vor dem Hintergrund einer stetig sinkenden Bedeutung der brieflichen Kommunikation im Zuge der Etablierung moderner Kommunikationsformen und eines steigenden Konkurrenzdrucks in Teilbereichen des Postmarktes durch international operierende Privatunternehmen wurden alle Weichen gestellt, die Post zu einem profitorientierten Privatunternehmen zu machen.

Bereits 1990 wurde Klaus Zumwinkel zum Vorstandvorsitzenden berufen. Der ehemalige McKinsey-Unternehmensberater hatte sich durch seine kurzfristige Sanierung des Quelle- Versandhauses, welches in die Verlustzone gerutscht war, für diese Aufgabe als bestens geeignet präsentiert. Er legte an das Staatsunternehmen den harten Maßstab der reinen Profitabilität. Sein vernichtendes Urteil lautete damals: Das Unternehmen mit seinen 380.000 Beschäftigten, ca. 20.000 eigenen Filialen und den annähernd 200 Brief- und Paketsortierzentren erwirtschafte bei einem Umsatz von 19 Milliarden DM einen Verlust von 1,4 Milliarden Mark. Durch Modernisierung und Rationalisierung sollte das Unternehmen profitabel gemacht werden, "fit" für die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Dieser Schritt wurde 1995 gemacht, wobei vorerst aber der Bund als alleiniger Aktionär knapp 50 Prozent der Aktien bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau parkte.

Um das "freie Spiel der Kräfte" zu erreichen, nahm im Januar 1998 die Regulierungsbehörde ihren Dienst auf. Ihre Aufgabe ist es zu verhindern, dass die Post ihre absolut marktbeherrschende Stellung gegen Konkurrenten einsetzt. In den zwei Jahren ihrer Tätigkeit hat sie bisher 735 Lizenzen an Privatunternehmen vergeben und ihnen dadurch erlaubt, auf dem Postmarkt in unterschiedlichster Form tätig zu werden. Allerdings sind nach einer Umfrage der Behörde unter den Unternehmen ca. 30 Prozent der Lizenznehmer nicht oder nicht mehr aktiv. 57 Unternehmen wurden durch Konkurs samt ihrer Arbeitsplätze liquidiert.

Außer im Bereich der Paketzustellung sind allerdings die Konkurrenten der Post World Net weiterhin Einschränkungen unterworfen, insbesondere gegenüber der Exklusivlizenz der DPWN für die Beförderung von Briefsendungen bis 200 Gramm. Es kann demnach nicht verwundern, dass die Post im gesamten Marktbereich immer noch einen Anteil von 98 Prozent innehat. Erst ab 2003 soll sie keine Exklusivrechte mehr haben und der gesamte nationale Markt liberalisiert sein. Dieser allein hat nach Berechnungen der Regulierungsbehörde insgesamt ein Volumen von 40 Milliarden DM. Doch das anvisierte Terrain der Deutsche Post World Net ist der sich immer stärker verflechtende Weltmarkt.

Nach Rationalisierung, Modernisierung und Arbeitsplatzabbau im großen Stil fuhr das Unternehmen 1999 bei einem Umsatz von 43 Milliarden Mark einen Gewinn von über 2 Milliarden DM ein, für das Jahr 2000 wurde diese Gewinnspanne bereits im ersten Halbjahr erreicht. Dieses Geld wie auch Erlöse aus dem Verkauf posteigener Immobilien wurden für den Zukauf von Unternehmen oder für Unternehmensbeteiligungen ausgegeben. Neben der Übernahme von Immobilien aus dem früheren Staatsunternehmen gewährte der Bund dem Unternehmen eine weitere "Starthilfe" in Form eines Schuldenerlasses in Höhe von 5 Mrd. DM.

Die Post investierte sowohl in Anteile mittelständischer Betriebe, wie den polnischen Paketzusteller Servisco (60-prozentige Mehrheitsbeteiligung), als auch in international operierende Firmen: die holländische Nedlloyd, das US-Luftfracht- und Logistikunternehmen Air Express International (Kaufpreis rund 2 Milliarden DM) oder den Schweizer Spediteur Danzas, der in 20 Monaten zum weltgrößten Speditionsunternehmen wuchs. Auch das britische Express- und Paketunternehmen Securior (Mehrheitsbeteiligung für 620 Millionen DM), das schwedische Logistik- und Transportunternehmen ASG (Mehrheitsbeteiligung für 731 Millionen DM) oder die zuletzt für geschätzte 887 Millionen Euro erwobenen 25,6 Prozent von DHL-Expressversand, an dem die Post nun die Aktienmehrheit besitzt, wurden allesamt Teil des weltumspannenden Unternehmens Deutsche Post. Dabei machen allein die Unternehmensstatistiken von DHL die von der Post angestrebte Rolle als Global Player deutlich: Das Unternehmen hat Niederlassungen in 228 Ländern, beschäftigt (noch) 64.000 Menschen und unterhält eine Transportflotte von 19.000 Fahrzeugen und 250 Flugzeugen.

Die deutsche Post hat in den vergangenen zehn Jahren fast 40 Unternehmen übernommen oder sich an ihnen beteiligt und dafür über 12 Milliarden Mark ausgegeben. Der Börsengang dient auch direkt zur Finanzierung dieser Expansion; so bekommen die Eigentümer der DHL-Aktien nur ein Drittel der Summe ausgezahlt, während die restlichen zwei Drittel in Form von Postaktien gezahlt werden sollen.

Ziel des Riesenunternehmens ist es, auf dem globalen Logistikmarkt die Organisation und Durchführung des Warenverkehrs für Großunternehmen anzubieten und Güter quer über den Erdball und doch sekundengenau an den Ort der Weiterverarbeitung zu transportieren - ganz wie es globale Integration der Produktion und "Just in time"-Verfahren gebieten.

Als erstes Unternehmen übertrug die deutsche Telekom der DPWN die gesamte Logistik, die französische Telekom folgte. Die ehemalige Bundespost stellt nun nicht nur die Telefonrechnungen für die beiden Unternehmen her und vertreibt sie - im Fall der deutschen Telekom - über ihr Zustellnetz, sondern sie hat auch die Organisation der Lagerhaltung, des Wareneinkaufs und Warenverkehrs und die Verwaltung des Fuhrparks übernommen.

Das Unternehmen, dass bereits das größte Logistikunternehmen Europas darstellte, als es noch als bundeseigene Schneckenpost bekannt war, hat sich durch die Expansion nun zum größten Logistik-Anbieter der Welt entwickelt und drängt verstärkt in andere, kontinentale wie nationale Märkte. Dabei wird von Politik und Post deren Exklusivlizenz als Druckmittel eingesetzt, um andere Regierungen - wie etwa die französische und britische - zu zügiger Liberalisierung ihrer heimischen Märkte zu zwingen.

Eine eigens von der Post in Auftrag gegebene Studie der Fraunhofer-Gesellschaft zählt den deutschen Postmarkt nach dem schwedischen und dem niederländischen zu den am stärksten liberalisierten Märkten Europas. Längst schon wird darüber diskutiert, das Monopol für Briefsendungen - das mit 90 Prozent den Löwenanteil der Unternehmensgewinne ausmacht; die DPWN macht pro Mark Briefporto elf Pfennig Reingewinn - über das Jahr 2002 hinaus zu verlängern. Den Konkurrenten, wie La Poste aus Frankreich oder TNT aus den Niederlanden, soll der Marktzugang solange erschwert werden, wie andere Staaten ihren Markt nicht für die deutsche Post öffnen.

Die sozialen Kosten des Börsengangs

Klaus Zumwinkel hat durch seine Arbeit bei der deutschen Post seinen Ruf als erfolgreicher Sanierer weiter untermauern können und das Unternehmen schnell zu Milliardengewinnen geführt. Leidtragende dieser Sanierung des Unternehmens sind die Beschäftigten der Post.

Der Vorstand, den Zumwinkel mit Weggefährten aus gemeinsamen Zeiten bei Quelle, bzw. beim Unternehmensberater McKinsey besetzte, beschloss enorme Investitionen in modernste Maschinenparks zur Automatisierung der Sortier- und Beförderungsabläufe. Rund acht Milliarden Mark gab das Unternehmen unter anderem für computergesteuerte Lese- und Sortiermaschinen aus. Von ehemals rund 1000 Bearbeitungsstellen für eingehende Briefsendungen blieben gerade 83 Verteilzentren übrig, die einen Grad von 80 Prozent maschineller Bearbeitung der Briefsendungen erreichen.

Gleiches gilt für die Paketbeförderung: In diesem Bereich wurde die Anzahl der Frachtzentren von 140 auf 33 reduziert, wobei der Anteil der maschinellen Bearbeitung gar 98 Prozent erreicht. Den bisher letzten - und erst wenige Wochen alten - Rationalisierungsschritt stellen Sortiermaschinen dar, die die eingehende Briefpost auf den genauen Arbeitsablauf des Zustellers sortieren, was derzeit versuchsweise in einigen Briefzentren getestet wird.

Diese Automatisierung von Arbeitsabläufen erklärt zum Teil das unvorstellbare Ausmaß der Vernichtung von Arbeitsplätzen. Bisher gingen mehr als ein Drittel (ca. 140.000) der ehemals 380.000 Arbeitsplätze verloren Auch in Zukunft ist der Bereich der Personalkosten mit geplanten jährlichen Einsparungen von etwa 110 Millionen DM der Einsparposten mit dem größten Volumen. Erreicht wurde dies zum einen durch Frühpensionierungen der unbeliebt gewordenen Beamten.

Sicherten diese vor der Privatisierung durch das ihnen auferlegte Streikverbot größtmögliche Ruhe im Unternehmen, so belasten sie nun die strategischen Planungen der Unternehmensführung, die in verstärktem Maß unsichere und schlechter bezahlte Jobs einführt. Nicht selten sind ältere Postbeschäftigte durch die Zuweisung unzumutbarer Arbeiten regelrecht vom Arbeitsplatz weggedrängt worden - entweder sind sie anschließend "freiwillig" gegangen oder waren durch eine dieses Mobbing verursachte Erwerbsunfähigkeit dazu gezwungen.

Dabei rechnen sich die Frühpensionierungen für die Post gleich doppelt: Erstens setzt das Unternehmen so den Arbeitsplatzabbau fort und spart Lohnkosten. Zweitens belasten die anfallenden Pensionen kaum die eigenen Finanzen, sondern vor allem die des Bundes. Dieser hat nämlich im Zuge der Privatisierung mit der Unternehmensleitung ein Modell zur Verteilung der Pensionskosten erarbeitet. Demnach musste die Post bis einschließlich des Jahres 2000 gewisse jährliche Rücklagen bilden, aus denen die Pensionen der regulär in Ruhestand tretenden Beamten gezahlt werden sollen. Für alle darüber hinaus anfallenden Kosten soll der Bund, also der Steuerzahler aufkommen.

Die Welle der Frühpensionierungen aber war in den Planungen in keiner Weise vorgesehen. Dadurch waren bereits 1999 die Rücklagen des Unternehmens erschöpft und der Bund übernahm anschließend die Kosten des Personalabbaus durch die Frühpensionierungen. Die Belastung der öffentlichen Kassen wächst noch weiter an, weil die Post für dieses Jahr absprachegemäß weniger Rücklagen aufgebaut hat als noch vergangenes Jahr und sich ab dem Jahr 2001 vollständig aus den Pensionszahlungen zurückzieht.

Weit über die durch Technologie-Investitionen wegrationalisierten Arbeitsplätze hinaus hat die Post World Net Arbeitsplätze durch simple Stellenstreichungen vernichtet, wobei sie die gleiche Arbeitsmenge schlicht auf weniger Beschäftigte verteilte. So wurden im neuen Unternehmen die Grundlagen zur Bemessung der Größe eines Zustellbezirks derart abgeändert, dass bei den jährlich stattfindenden Kontrollen praktisch immer ein "Minderbedarf" festgestellt wird und eine Vergrößerung des Bezirks des einzelnen Postboten folgt.

Die rein rechnerischen Größen, die in ihrer Addition letztlich zu unbezahlter Mehrarbeit führen, reichen von der Kürzung der Pausenzeiten bis zu (realitätsfernen) Festlegungen interner Arbeitsabläufe. Die Tatsache, dass das Unternehmen jede Möglichkeit, selbst in Bruchteilen von Sekunden zu rechnen, nutzt, die Wege des Briefträgers von einem Briefkasten zum nächsten dagegen erst ab einem Kilometer Wegstrecke und mehr voll erfasst werden, legt beredtes Zeugnis über die Absicht des Unternehmens ab. Dies führt zu stetig steigender Belastung, die in den erfahrungsgemäß sendungsstärksten Monaten zwischen Oktober und Februar zum Teil zu Wochenarbeitszeiten von annähernd 70 Stunden führt - bei bezahlten 38,5 Stunden.

Einen weiteren Beleg der Überbelastung stellen die Ausfallquoten durch Krankheit dar. In einigen Post-Niederlassungen, wie beispielsweise den meisten ostwestfälischen, wurde im Zeitraum 1999/00 ein neuer Negativrekord aufgestellt, als zeitweise über 50 Prozent der Belegschaft krankheitsbedingt ausfielen. Die Reaktion der Unternehmensleitung bestand in der Einführung von Gesundheitsgesprächen, die vom genesenen Zusteller mit seinem Vorgesetzten geführt werden müssen, sowie eines internen "Wettbewerbs" zwischen den einzelnen Niederlassungen, die in punkto Krankenstand, Kundenbeschwerden oder sonstigen Fehlern miteinander konkurrieren.

Es verwundert kaum, dass die Zahl derer, die diesen Belastungen nicht gewachsen sind und an körperlichen Schädigungen und ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit leiden, ständig steigt. Die so frei werdenden Stellen werden, wenn überhaupt, möglichst nicht durch ausgebildete und unbefristet eingestellte Arbeiter ersetzt, sondern durch ungelernte und mit Zeitverträgen versehene Kräfte. So wuchs die ehemals unbedeutende Gruppe mit befristeten Arbeitsverträgen auf über 33.000 Menschen oder 14 Prozent der Belegschaft an. Bei vielen Neueinstellungen dehnt das Unternehmen diesen unsicheren "Hire-and-fire-Status" auf mehrere Jahre aus, indem die Personalverwaltungen das Beschäftigungsförderungsgesetz (BFG) nutzen. Teilweise wurden befristet Beschäftigte mit dem Versprechen der Wiedereinstellung in einmonatige Arbeitslosigkeit entlassen, um danach den Rahmen des BFG (dreimalige Befristung, etc.) erneut nutzen zu können.

Mit Beginn des nächsten Jahres soll dann die wachsende Gruppe der ungelernten Aushilfskräfte ein weiteres Mal schlechter gestellt werden, indem sie teilweise vom geltenden Tarifvertrag abgekoppelt wird. Dabei wird der Stundenlohn neuangestellter Aushilfen um zwei Mark in der Stunde gesenkt. Dem Unternehmen wird auch die Möglichkeit verschafft, Sonderleistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld nach seinem Interesse zu regeln. Die Deutsche Post Gewerkschaft (DPG) gewährt gegen diese gänzliche Auslieferung der Beschäftigten an die Interessen des Unternehmens keinerlei Schutz mehr. Sie verweist lediglich darauf, sie habe immerhin einen zweijährigen Kündigungsschutz für betriebsbedingte Kündigungen erreicht.

Auf diese Weise senkt die Deutsche Post World Net das Niveau der Arbeitsbedingungen weiter ab und gleicht sie den Bedingungen an, die bei den privaten mittelständischen Konkurrenzunternehmen von Anfang an galten. Um gegenüber der marktbeherrschenden Post bestehen zu können, bieten diese Unternehmen ihre Leistungen zu günstigeren Konditionen an, die vor allem den niedrigeren Lohnkosten geschuldet sind. Bei den sogenannten Lizenznehmern arbeiteten Ende letzten Jahres 16.506 Menschen (Stand November 1999), wobei nur 1.579 - also weniger als 10 Prozent - einen Vollzeitarbeitsplatz besetzten. 3.695 Beschäftigte hatten Teilzeitverträge, 11.232 waren geringfügig beschäftigt. 35 Prozent der Beschäftigten arbeiteten nicht sozialversicherungspflichtig.

In die gleiche Abwärtsentwicklung der Arbeits- und Lohnstandards werden die Beschäftigten der Unternehmen gezogen, die sich die DPWN einverleibt hat.

Die Liberalisierung und ihre Auswirkungen

"Mittelfristig werden jedenfalls die Beschäftigungseffekte des Arbeitsplatzabbaus durch den Beschäftigungszuwachs bei den neuen Unternehmen ausgeglichen, wenn nicht überkompensiert." Diese von Klaus-Dieter Scheuerle, dem Präsidenten der Regulierungsbehörde aufgestellte Prognose ist in keiner Weise realisiert worden. Ganz im Gegenteil stehen den vernichteten 140.000 Arbeitsplätzen gerade einmal 16.000 durch andere Zustellfirmen geschaffene gegenüber.

Doch nicht nur diese Prognose der Regulierungsbehörde erscheint im Licht des just begonnenen Wettbewerbs bereits als hohle Schönfärberei: "Mit Wettbewerb ist den Interessen der Nutzer am besten gedient. Und auch das Ziel der Grundversorgung lässt sich am kostengünstigsten und am zuverlässigsten durch Wettbewerb sicherstellen", so der Präsident der Behörde im Januar 1998.

Die ehemalige Bundespost war per Gesetz zur Grundversorgung der Bevölkerung mit ihren Diensten verpflichtet. Neben der flächendeckenden Verfügbarkeit der Dienstleistungen mittels eines Netzes aus über 20.000 Postfilialen gehörte zu diesem Grundversorgungsauftrag die Einheitlichkeit des Portos. Auch der aus dem entlegensten Winkel abgeschickte Brief durfte nicht mehr kosten, als der aus der Großstadt versandte. Zudem musste das Porto für jeden erschwinglich bleiben. Dieser Grundversorgungsauftrag erscheint privatisierten Unternehmen zunehmend als Ballast. Es verwundert nicht, dass die DPWN zur Grundversorgung genötigt werden musste, in dem dieser Auftrag an die Exklusivlizenzen gekoppelt und die Überprüfung dieser Versorgung der Regulierungsbehörde übertragen wurde.

Doch bereits vor Ablauf der Exklusivlizenz begann die Post mit der systematischen Zerschlagung des flächendeckenden Angebots. Das Filialnetz wurde von über 20.000 auf 5.556 posteigene Einrichtungen zusammengestutzt. Um dem Anspruch der Grundversorgung noch zu genügen, die die Regulierungsbehörde bei rund 12.000 stationären Einrichtungen als gegeben ansieht, richtete die Post ca. 8.000 Agenturen ein, die in Schreibwarenläden (wie der posteigenen McPaper-Kette), Lebensmittelläden oder Ähnlichem installiert wurden.

Die Betreiber dieser Agenturen schließen mit der Post zeitlich befristete Verträge ab und werden in einem zweiwöchigen "Crashkurs" in ihre neue Arbeit eingewiesen. Allerdings beruht das Vergütungssystem der Post auf reiner Umsatzstärke. Rentabel wird eine Agentur erst dann, wenn sie sich in Ballungszentren mit kontinuierlich starkem Kundenstrom befindet.

Wie das ARD-Magazin Monitor in seiner Sendung vom 20. Juli dieses Jahres zeigte, gilt dies nicht für ländliche Gegenden. So kündigte ein Agenturbetreiber im oberbayrischen Übersee (5.000 Einwohner) seinen Agenturvertrag, weil er nicht davon leben konnte, was laut Monitor kein Einzelfall ist. Die Folge in Übersee wie anderswo ist die Zerstörung des Zugangs zu postalischen Leistungen. Neben der Stillegung unrentabler Bahnlinien und der Verteuerung von Telefonanschlüssen in unwirtschaftlichen Gegenden folgt mit der Beseitigung des Zugangs zu postalischen Dienstleistungen und der absehbaren Verteuerung des Porto die fortschreitende Unterordnung jedes Gesellschaftsbereiches unter das Profitstreben.

Das Ende der Exklusivlizenz wird wegen des parallelen Abschieds vom Grundversorgungsauftrag diesen Prozess weiter beschleunigen. Die zu erwartenden sinkenden Gewinne aus dem Briefgeschäft nach dem Ende der Exklusivlizenz werden zwangsläufig fallende Aktienkurse hervorrufen, wenn sie nicht durch weitere Einschnitte in die Grundversorgung sowie durch steigende Arbeitsbelastungen der Belegschaft ausgeglichen werden.

Die Liberalisierung des Postmarkts wird aber auch die bisherigen Qualitätsstandards für die Zustellung deutlich senken. Schon heute entwickelt sich der Stammzusteller, der jeden Bewohner seines Bezirk persönlich kennt und so Fehler auffängt, zur Seltenheit. Die Zustellunternehmen gleich welcher Couleur setzen verstärkt auf sogenannte "Turnschuhbrigaden", die zum Teil täglich wechselnde Einsatzbezirke zugewiesen bekommen. Die mittelständischen Konkurrenzunternehmen haben wegen des Fehlens eines kontinuierlichen Sendungsaufkommens praktisch auch keine andere Wahl, da Auftraggeber und Zustellbereich dauernd wechseln.

Weiterhin fehlen den meist auf eine Stadt oder gar ausschließlich auf das Stadtzentrum beschränkten Unternehmen die Mittel, um eine der Post vergleichbare Fehlerbearbeitungs- und Nachsendelogistik aufzubauen. Sollte sich diese für die DPWN nicht als Wettbewerbsvorteil herausstellen, so wird das kostenlose Nachsenden der Post an den neuen Wohnort bald ebenso der Vergangenheit angehören, wie die trotz fehlender Hausnummer oder Postleitzahl angekommenen Urlaubsgrüße.

Die Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen - bei gesteigerten Profiten - wird gänzlich offensichtlich, wenn die mit der Post konkurrierenden Unternehmen in der Stadt, in der sie aktiv sind, eine eigene beschränkte Logistik aufbauen. Alle Unternehmen, jedes mit eigenen Briefkästen, eigenen Unternehmensbekleidungen, eigenen Fahrzeugen und eigenen Briefmarken, werden nacheinander ihre Zusteller - womöglich im Unternehmens-PKW - durch einen Stadtteil schicken. Die in Berlin ansässige PIN AG kündigte unlängst an, in der Hauptstadt mit dem Aufstellen eigener blauer Briefkästen zu beginnen und eigene Briefmarken (Motiv: Brandenburger Tor) auszugeben.

In der Logik dieser Entwicklung liegt, dass der Postmann künftig nicht zweimal klingelt, sondern viermal, sechsmal ...

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