Horst Mahler und die NPD

Er war Anwalt der Außerparlamentarischen Opposition (APO) Ende der 60er Jahre, Mitbegründer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und Mitglied der Rote Armee Fraktion (RAF) - der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler. Am vergangenen Samstag stellte er den Antrag auf Mitgliedschaft in der neofaschistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD).

Anlass für den Antrag auf Mitgliedschaft in der NPD war für Mahler die seit Wochen anhaltende Kampagne für ein Verbot der Partei. Auf deren Pressekonferenz in Bruchsal bei Karlsruhe am vorvergangenen Samstag rief Horst Mahler - nach eigener Aussage ein "geschworener Gegner des Parteienstaates" - alle, "denen Deutschland am Herzen liegt", auf, die "vaterländische Front dadurch zu stärken, dass sie in aller Öffentlichkeit der NPD beitreten ohne Rücksicht auf die Folgen für ihr persönliches Schicksal". "Wir alle müssen uns gegenwärtig halten, dass wir uns im Krieg befinden und das Deutsche Reich unseren Beitrag zur Verteidigung des Deutschen Volkes jetzt einfordert und uns auch persönliche Opfer zumutet. [...] Vorbehalte oder Animositäten [...] haben jetzt, da es um Deutschland, um das Deutsche Reich geht, in den Hintergrund zu treten."

Mahler stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen und hätte wahrscheinlich eine ebensolche Karriere gemacht, hätte es die APO nicht gegeben und eine breite Radikalisierung der jungen Generation Ende der 60er Jahre. Die Voraussetzungen jedenfalls waren gut: Als Sohn eines Zahnarztes wurde Mahler 1936 - drei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges - geboren. Nach der Flucht aus dem damaligen Schlesien 1945 übersiedelte die Familie nach einigen Zwischenstationen 1949 nach West-Berlin. Mahler studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität in Berlin und erhielt während des Studiums sogar ein Stipendium. Er war zu dieser Zeit auch Mitglied einer schlagenden Verbindung, trat aber dann der SPD bei und wurde Vorsitzender ihrer Jugendorganisation in Berlin-Charlottenburg. Später wurde er wegen der Zugehörigkeit zum SDS aus der Partei ausgeschlossen.

Nach dem Examen übte Mahler seinen Beruf in einer der renommiertesten Berliner Anwaltskanzleien aus. Er machte sich mit Erfolg bald selbständig und spezialisierte sich auf die mittelständische Wirtschaft. Als sich mehr und mehr Mandanten aus der linken APO-Szene von Mahler vertreten ließen und sich als Folge davon seine Wirtschaftsklientel abwandte, war diese Karriere am Ende.

Mahler wurde Mitbegründer des ersten "sozialistischen Anwaltskollektivs" und vertrat Rudi Dutschke ebenso wie Rainer Langhans und andere. 1969 verteidigte er die späteren RAF-Mitbegründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin. In der Folge des Attentates auf Rudi Dutschke Ostern 1968 beteiligte sich Mahler an den Aktivitäten gegen die Springer-Presse. Trotz verschiedener standesrechtlicher Verfahren gegen Mahler gelang es der Staatsanwaltschaft nicht, ein Berufsverbot gegen ihn durchzusetzen.

In der Folge mehrerer Verurteilungen 1970 - zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 75.884,25 DM an das Verlagshaus Axel Springer - flüchtete Mahler zusammen mit dem zuvor aus dem Gefängnis befreiten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und anderen nach Jordanien, um bei den Palästinensern eine Guerilla-Ausbildung für den bewaffneten Kampf zu absolvieren.

Zwei Monate später wurde Mahler in Berlin verhaftet. Im Oktober 1972 schließlich wurde er in einem zweifelhaften Verfahren "wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit Gründung einer kriminellen Vereinigung und Beteiligung an derselben" zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Der Ausschluss aus der Anwaltschaft folgte 1974. Bis 1980 blieb Horst Mahler in Haft.

Mit Hilfe des damaligen Juso-Vorsitzenden und späteren Ministerpräsidenten von Niedersachsen, des heutigen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, den Mahler 1978 als Anwalt gewann, erhielt er 1988 seine Wiederzulassung als Anwalt und konnte seine Kanzlei als Wirtschaftsanwalt in Berlin wieder eröffnen.

Der Mitbegründer der RAF hatte sich schon vor und während seiner Haft zu ihrem Kritiker gewandelt - durch eine, wie er 1977 schrieb, "innere Befreiung von der dogmatischen Revolutionstheorie des Marxismus-Leninismus". Doch seine Verwandlung ging noch weiter. 1998, nachdem es zehn Jahre relativ ruhig um Horst Mahler gewesen war, überraschte er die Öffentlichkeit mit einem Beitrag für die rechte Zeitung Junge Freiheit, in der er seine neue Gesinnung offenbarte. Er stellt darin ein Beziehung zwischen der 68er Bewegung und der Entwicklung einer neuen völkischen Ideologie dar.

"Die 68er haben Tradition und Religion als weltbildprägende Mächte [...] zerstört und damit unser Volk der Mündigkeit einen Schritt näher gebracht. Erst jetzt ist der Boden für die Vollendung der Aufklärung, die zugleich ihre Überwindung sein wird, bereitet. Wir erleben dieses Resultat der Kulturrevolution von 1968 jetzt als die Hölle, denn mit Tradition und Religion ist unsere sittliche Substanz verflogen. [...] Als kulturloses Volk leben wir in einer zweiten Steinzeit. Es erfordert einige Anstrengung des Denkens, das geistige Vakuum - diesen Zustand der absoluten Negativität, die uns als Menschen und als Volk ja jetzt wirklich auszulöschen droht - als etwas Positives und in diesem Sinne als eine geschichtliche Leistung der 68er zu erkennen und anzuerkennen. [...] Seien wir Krieger des Denkens! Lasst uns miteinander streiten - für Gott und Elternland!"

Mittlerweile hat Mahler sich zu einem Ideologen der neofaschistischen Bewegung entwickelt. Die seinen Mitgliedsantrag begleitende Erklärung ließt sich wie ein Schnellkurs in neofaschistischer Ideologie und erregt bei nicht abgestumpften Gemütern durchaus Übelkeit. Der Autor bittet daher die Leserschaft für die im Folgenden verwandten Zitate um Nachsicht.

Ausgehend von einer Verschwörungstheorie des "jüdischen Finanzkapitals" spricht Mahler von der "geheimen Regierung" der "Dirigenten des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems", als deren "Schattenkanzler" er den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel ausmacht. Diese Regierung bediene sich der "Geheimdienstprovokationen, um zur Systemstabilisierung nach Bedarf politische Hetz- und Verfolgungskampagnen loszutreten". Deutsche Politiker und Medien seien allenfalls "gutgläubige Marionetten in diesem teuflischen Spiel". Es herrsche "Meinungsterror gegen jede noch so schüchterne Regung des Deutschen Volksgeistes. Gegen jeden, der (...) sich gegen die forcierte Überfremdung wendet".

Die Morde und Gewalttaten durch neofaschistische Jugendliche bezeichnet Mahler als "Ausdruck der natürlichen - quasi instinktiven - Gegenwehr des Deutschen Volkes gegen seine Umvolkung zu einer afro-euro-asiatischen Mischrasse". [...] "Angesichts der Bevölkerungsexplosion in den vom euro-amerikanischen Imperialismus zerstörten Lebensräumen der farbigen Völker wird in den kommenden Jahrzehnten die Fremdenangst als notwendige, d.h. lebenserhaltende Abwehrreaktion in dem Maße an Bedeutung zunehmen, wie der Wanderungsdruck aus Asien und Afrika die Identität Europas als des Kontinents des weißen Mannes in Frage stellt." Den Begriffen von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass gelte es, "die tabuisierende Wirkung zu nehmen, mit der das deutsche Volk seit über 50 Jahren in Knechtschaft gehalten" werde. Die "echten Wut- und Hassausbrüche" seien nichts anderes, als "Symptome einer seelischen Erkrankung, die aus der Ächtung und Verdrängung gesunder, lebenswichtiger Antriebe hervorwachsen".

Mit der Begründung: "Die Geschichte ist das Handeln Gottes, nicht das Handeln der Menschen", rechtfertigt Mahler auch den Holocaust. Der Zeitgeist leugne den lieben Gott und "verfolge die Deutschen um ihres Glaubens willen, indem er die Verantwortung für die Geschichte, also für Gottes Handeln [gemeint ist der Holocaust, M.R.], den Deutschen auferlegt."

Mahlers Wandlung vom linken Ideologen zum bekennenden Faschisten ist außergewöhnlich, es gibt dafür aber historische Präzedenzfälle. Insbesondere ein Vergleich mit den Wegbereitern des italienischen Faschismus drängt sich auf, mit dem französischen Theoretiker Georges Sorel und mit Mussolini, dem Duce selbst. Deren ursprünglich gegen die bürgerliche Gesellschaft gerichteter Radikalismus - Sorel betrachtete sich als Marxist, Mussolini führte den linken Flügel der Sozialistischen Partei - hatte eine zunehmend nationalistische Färbung angenommen und sich schließlich gegen die Arbeiterbewegung und ihren Internationalismus gewandt.

Sozial stützte sich der Faschismus auf das Kleinbürgertum, das sich vom großen Kapital und der Arbeiterbewegung gleichermaßen bedroht fühlte und Schutz im Schoße der "Nation" suchte; politisch stellte er sich in den Dienst der Bourgeoisie, die er vor der sozialen Revolution rettete und bei der Verwirklichung ihrer imperialen Ziele unterstützte.

Auch hinter Mahlers Werdegang steckt - bei aller Exzentrik seiner Person - ein rationaler Kern.

Schon Teile der 68er Bewegung hatten, trotz ihrer revolutionären Rhetorik, die Arbeiterklasse als eine leicht manipulierbare, vom "Konsumterror" beherrschte Masse betrachtet, auf die man sich im Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft nicht stützen konnte. Als Ersatz wandten sie sich diversen nationalen Befreiungs- und Guerillabewegungen zu. Der höchste und zugleich demoralisierteste Ausdruck dieser Konzeption war die Gründung der RAF, die den Guerillakampf ins Zentrum der deutschen Städte tragen wollte.

Während die meisten 68er ihre sozialistischen Ambitionen bald wieder aufgaben und in den Schoß oder, wie der ehemalige Straßenkämpfer Joschka Fischer, sogar an die Spitze der bürgerlichen Gesellschaft zurückkehrten, trieb Mahler die Ablehnung der Arbeiterklasse bis zum anderen Extrem. Der Marxismus, so Mahler heute, spalte das Volk. Das sei grundsätzlich falsch. Der Widerstand müsse sich vor allem gegen die US-amerikanische Vorherrschaft richten und aus der "völkischen Einheit" kommen.

Psychologisch spiegelt die Evolution Mahlers die geballte Angst und Panik wieder, von der Schichten der Gesellschaft angesichts von Globalisierung und Sozialabbau erfasst werden.

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