Bombenexplosion im Zentrum Moskaus

Politik und Terrorismus in Russland

Die Bombenexplosion, die am 8. August das Zentrum Moskaus erschütterte, hat die politische Instabilität der russischen Gesellschaft wieder schlagartig ins Blickfeld gerückt.

Das Bombenattentat ereignete sich an einem der bevölkertsten Punkte der russischen Hauptstadt, dem Puschkinplatz, und zu einer Tageszeit, zu der besonders viele Menschen unterwegs waren. Sieben Menschen starben sofort nach der Explosion und fünf weitere später in Krankenhäusern. Über neunzig Menschen wurden verletzt, fünfzig davon so schwer, dass sie in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten.

Die vermutete Stärke der Explosion beläuft sich auf 0,4 bis 1,5 Kilogramm TNT. Die Bombe war nicht ummantelt, dafür aber mit zugeschnittenen Metallstücken gefüllt. Einigen Angaben zufolge waren in der Bombe auch Stoffe enthalten, mit denen im vergangenen Jahr zwei Wohnhäuser in Moskauer Bezirken gesprengt worden waren.

Anfängliche Vermutungen, die Katastrophe habe "technische Ursachen", lassen sich kaum aufrecht erhalten. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass die Explosion das Ergebnis "krimineller Auseinandersetzungen" war. Letztere sind in der Regel Auftragsmorde bestimmter Geschäftsleute, die aber nicht auf die Tötung Unbeteiligter ausgerichtet sind. Man kann also kaum bezweifeln, dass die Explosion vom 8. August ein gezielter terroristischer Akt war.

Viele russische Politiker behaupteten sofort, dass tschetschenische Kämpfer für das Attentat verantwortlich seien. Beweise dafür gibt es bisher allerdings keine.

Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow erklärte, dass er "100prozentig" sicher sei, dass die "Spur nach Tschetschenien" führe. Derselben Meinung war der Direktor des Geheimdienstes FSB, N. Patruschew. Der Ultranationalist Wladimir Schirinowskij rief nach der Explosion sogar zu einer "Bartholomäusnacht für die Tschetschenen" auf. In der Bartholomäusnacht des Jahres 1572 waren in Frankreich 20.000 Hugenotten ermordet worden.

Der stellvertretende Vorsitzende des FSB, W. Pronitschew, gab im Staatssender ORT noch am Abend der Explosion die Verhaftung von zwei verdächtigen Kaukasiern bekannt - einem Tschetschenen und einem Dagestaner. Ihnen konnte jedoch keinerlei Beteiligung an der Explosion nachgewiesen werden. Als einziger Anhaltspunkt für die Polizei diente religiöse islamische Literatur, die die beiden mit sich führten.

Die offiziellen russischen Medien hatten in den vergangenen Monaten ständig über die angebliche Vorbereitung von neuen Terroranschlägen auf dem Territorium Russlands durch tschetschenische Kämpfer berichtet. Die Explosion vom 8. August passt in dieses Bild.

Die tschetschenische Führung hat allerdings jegliche Verantwortung strikt von sich gewiesen. So bestritt der 1997 zum tschetschenischen Präsidenten gewählte Aslan Maschadow gegenüber der Nachrichtenagentur AFP jede tschetschenische Beteiligung. Das ideologische Zentrum der Tschetschenen unter der Führung von M. Udugow veröffentlichte sogar eine Verlautbarung, der zufolge das "Kremlregime" für die Explosion in Moskau verantwortlich sei.

Über die wirklichen Urheber des Attentats kann unter diesen Umständen nur spekuliert werden. Auch innenpolitische Gegner Putins oder Kreise aus den Reihen des Regimes selbst kommen dafür in Frage.

Die Bombenanschläge, denen vor einem Jahr die Bewohner zweier Wohnhäuser zum Opfer fielen, sind bis heute nicht aufgeklärt worden. Es halten sich hartnäckige Gerüchte, dass der Geheimdienst FSB hinter den Anschlägen steckte. Es gab dafür auch deutliche Hinweise. Mehrere Geheimdienstleute waren in flagranti ertappt worden, als sie einen weiteren Anschlag vorbereiteten. Sie redeten sich mit der fadenscheinigen Begründung heraus, es habe sich lediglich um eine Übung gehandelt, um die Wachsamkeit der Bevölkerung zu testen.

Wladimir Putin jedenfalls profitierte von diesen Anschlägen. Sie lieferten ihm den Vorwand für den Krieg gegen Tschetschenien und für verstärkte repressive Maßnahmen im Inneren des Landes. Die Stimmung der Angst, die sie in breiten Bevölkerungskreisen hervorriefen, bildeten die Grundlage für seinen kometenhaften Aufstieg ins Präsidentenamt.

Bei den jüngsten Anschlägen sieht die Lage etwas anders aus. Sie offenbaren sowohl die allgemeine politische Schwäche Putins, als auch das Scheitern seiner Nordkaukasuspolitik. Er hatte den Krieg gegen Tschetschenien damit begründet, dass dieser "Herd des internationalen Terrorismus" trockengelegt werden müsse, um die einfache Bevölkerung gegen Terroranschläge zu schützen. Nun ist der Terror ins Zentrum der Hauptstadt zurückgekehrt und der Krieg in Tschetschenien fordert immer größere Opfer, ohne dass ein Ende abzusehen wäre.

Die Reaktion des Kremls fiel dann auch wesentlich moderater aus als im vergangenen Jahr. Hatte Putin damals noch verkündet, er werde "die Terroristen auch auf der Toilette zermalmen", so rief er jetzt dazu auf, in den Ereignissen keine "nationale Spur" zu suchen. Er erklärte, dass Verbrecher weder eine Nationalität noch eine Glaubenszugehörigkeit hätten und dass man dem "Terrorismus" nur mit "politischem Willen" widerstehen könne. "Die einzige Medizin ist eine adäquate Antwort", fügte er hinzu, wobei er offen ließ, was er damit meinte.

Offensichtlich spürt die Regierung ihre Hilflosigkeit angesichts der angehäuften Probleme. Die Stärkung der Geheimdienste und der zentralen Machtstrukturen - das zentrale Merkmal von Putins Politik - haben ihre Grenzen. Diese Maßnahmen können das Lebensniveau der Gesellschaft nicht erhöhen und den Menschen kein Essen und keine normale Arbeit verschaffen.

Die politischen Rivalen Putins spüren diese Schwäche und handeln entsprechend. An solchen Rivalen mangelt es nicht. Dazu gehören beispielsweise die regionalen Eliten, die im Föderationsrat vertreten sind, die Finanz- und Industriegruppen einiger "Oligarchen", die ihre früheren Positionen verloren haben, aber auch einzelne einflussreiche Politiker und Geschäftsleute vom Schlage Beresowskijs, sowie unzufriedene Offiziere der Geheimdienste. Unter diesen Elementen gibt es durchaus welche, die fähig wären, eine groß angelegte Provokation wie den jüngsten Terrorakt in Moskau zu organisieren, um die Lage zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Auch das Datum des Anschlags deutet darauf hin, dass er von Gegnern Putins organisiert wurde. Die Explosion fand am Vorabend des Jahrestags seiner Ernennung zum russischen Premierminister statt. Präsident Boris Jelzin hatte zwei Tage nach dem Eindringen tschetschenischer Gruppen ins benachbarte Dagestan den damaligen Premierminister Sergej Stepaschin abgesetzt und den bis dahin kaum bekannten Putin zum neuen Kabinettsoberhaupt ernannt.

Unabhängig davon, wer letztlich hinter dem Anschlag steckt, hat dieser die grundlegende Schwäche des gegenwärtigen Regimes aufgedeckt.

Putin, dessen Biografie wenig enthält, was ihn zum Staatsmann qualifizieren würde, verdankt seinen Aufstieg an die Spitze des russischen Staats ausschließlich der Manipulation von Angst und Nationalismus. Der Tschetschenienkrieg wurde für ihn zum Mittel, Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Stimmungen zu schüren, und diente als Anlass, Meinungsfreiheit und politische Oppositionen zu unterdrücken. Bisher lässt sich nicht erkennen, dass Putin eine Antwort auf die brennenden ökonomischen und sozialen Probleme hätte, mit denen Russland konfrontiert ist. Mit Angst und nationaler Hysterie lassen sich diese Probleme aber auf Dauer nicht lösen. Die gesellschaftliche Realität kann nicht ewig ignoriert werden. Und diese spricht gegen Putin.

Seit er Regierungschef und später Präsident wurde, sind die Lebensbedingungen der überwältigenden Mehrheit der russischen Bevölkerung nicht besser geworden. Die Kampfhandlungen im Nordkaukasus wurden keinen Tag unterbrochen. Obwohl der Kreml im Frühjahr die "militärische Etappe der Antiterroroperationen" offiziell für beendet erklärte, haben sich weder die militärischen Auseinandersetzungen noch die Anzahl der Opfer verringert. Tausende russische Soldaten und Einwohner Tschetscheniens haben dabei ihr Leben verloren. Praktisch das gesamte Territorium der tschetschenischen Republik ist zerstört. Viele Tausende Tschetschenen mussten ins benachbarte Inguschetien fliehen, wo sie nach wie vor unter fürchterlichen sanitären Bedingungen in Zeltstädten und Übergangslagern hausen. Sie haben keinerlei Hoffnung, nach Hause zurückzukehren, um ein normales Leben zu führen.

Unter diesen Bedingungen haben sich die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen der herrschenden Klasse verschärft. Kreml und Förderationsrat, in dem sich die Interessen der regionalen Eliten bündeln, stehen in offenem Gegensatz zueinander, ebenso der Kreml und die meisten der sogenannten "Oligarchen". Hinter den Kulissen finden erbitterte Auseinandersetzungen statt.

Eines steht nach dem Anschlag vom 8. August fest: Das Ergebnis wird eine weitere Aufrüstung des Staatsapparats, das Schüren von Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Gewalt als Mittel zur Aufrechterhaltung der "Ordnung" im Lande sein.

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