Nach der gerade erst überstandenen Pinochet-Affäre läuft in Spanien ein weiteres juristisches Verfahren gegen ehemalige lateinamerikanische Militärdiktatoren. Seit Ende März ermittelt der Nationale Gerichtshof (Audiencia Nacional) unter Vorsitz des Richters Guillermo Ruiz Polanco gegen acht hohe Generäle und Politiker aus Guatemala. Das Verfahren geht auf einen Antrag der guatemaltekischen Indio-Aktivistin und Friedensnobelpreisträgerin von 1992, Rigoberta Menchu, zurück.
Bei den Beschuldigten handelt es sich um den Ex-Diktator und heutigen Parlamentspräsidenten Jose Efrain Rios Montt, um seinen Vorgänger Fernando Romeo Lucas Garcia und um seinen Nachfolger, General Mejia Victores. Außerdem sind zwei Polizeipräsidenten, zwei ehemalige Minister und ein Ex-Stabschef des guatemaltekischen Heeres von der Klage betroffen. Ihnen wird der Genozid an mindestens drei Maya-Völkern, Folter, Massenmord und das Verschwindenlassen von Zehntausenden Personen vorgeworfen.
Seit 1954, als sich der Oberst Casillo Armas mit seinen Söldnertruppen und der aktiven Unterstützung der CIA und der Luftwaffe der Vereinigten Staaten gegen die sozialreformerische Regierung von Jacobo Arbenz an die Macht putschte, löste in Guatemala eine korrupte Militärdiktatur die nächste ab. Sie dienten alle der Verteidigung der sozialen Interessen der einheimischen Oligarchie und US-amerikanischer Konzerne - wie der United Fruit Company - und taten dies mit beispielloser Brutalität.
In einem 36jährigen Bürgerkrieg gegen die in den sechziger Jahren entstandene Guerillaarmee URNG (Nationale Revolutionseinheit Guatemalas) verloren mindestens 150.000 Menschen ihr Leben. 50.000 sind bis heute verschwunden. Am meisten litt die indianische Landbevölkerung unter den Repressionen. Sobald die Armee Guerilleros in einem Dorf vermutete, wurde es dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner massakriert. Die Landarbeiterorganisation CUC (Comite de Unidad Campesina) schreibt, das die Bestialität - vor allem der Jahre 1981-1985 - in der Geschichte Guatemalas nur mit der Conquista vor 460 Jahren zu vergleichen sei.
Am 14. Januar 1986 gelangte in Guatemala erstmals wieder eine Zivilregierung unter dem Christdemokraten Vinicio Cerezo an die Macht. Die Entwicklung in Guatemala folgte damit einem ähnlichen Muster wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern.
Mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem damit verbundenen Ende des kalten Krieges entfiel für die USA die Notwendigkeit, sich in ihrem Hinterhof gegen die "Gefahr des Kommunismus" direkte Militärdiktaturen zu halten. Im Zeitalter der Globalisierung war es außerdem notwendig, allzu starre, wirtschaftlich danieder liegende und bei der Bevölkerung verhasste Regime durch "demokratisch legitimierte" zu ersetzen. Meist kam es dabei zur Versöhnung zwischen den ehemaligen Guerillas und den Militärs. So einigte sich die sandinistische Regierung Nicaraguas mit der von den USA unterstützten Söldnerarmee, den Contra-Rebellen, und händigte schließlich dem rechten Chamorro-Regime die Macht aus. In El Salvador legte die Farabundo-Marti-Befreiungsfront die Waffen nieder und kam zu einer Übereinkunft mit dem vom Militär dominierten Regime.
In Guatemala dauerte der Bürgerkrieg auch nach der Einsetzung einer Zivilregierung noch zehn Jahre an. Er endete erst 1996 mit der Kapitulation der Guerillaarmee URNG. Die Regierung von Vinicio Cerezo wurde sowohl von der Armee als auch dem internationalen Kapital (im wesentlichen US-amerikanische Konzerne) als gangbare Alternative zu den vorangegangenen diskreditierten Caudillos Garcia, Rios Montt und Mejias betrachtet. Sie diente als moralische Legitimation dafür, dass wieder Entwicklungshilfegelder und internationale Investitionen nach Guatemala flossen.
Um das Vertrauen der internationalen Anleger und "demokratischen Institutionen" wiederherzustellen war es aber weder nötig noch erwünscht, etwas an der repressiven Rolle der Armee und der sozialen Struktur des Landes zu verändern. Die vollständige Militarisierung des Landes - z.B. durch die marodierenden paramilitärischen Verbände (PAC) - blieb ebenso bestehen wie die ungerechte Landverteilung und die Ausbeutung und Unterdrückung der Indios und der städtischen Arbeiterklasse.
Bewaffnet mit der moralischen Autorität, selbst zu den politisch Verfolgten während der Diktatur gehört zu haben, unterzeichnete Cerezo im Sommer 1987 das Abkommen Esquipulas II. Darin verpflichteten sich die mittelamerikanischen Länder, eine friedliche Lösung der Kriege in dieser Region anzustreben. Während sich Cerezo als Mann des Dialogs pries, führte seine Armee den brutalen Krieg gegen die indianische Bevölkerung, die vor allem im Hochland und den Wäldern im Norden Guatemalas lebt, mit beispielloser Härte weiter.
Obwohl das Land einem Konzentrationslager glich, nahmen Streiks und Demonstrationen zu. So befanden sich Ende Januar 1989 über 50.000 Landarbeiter im Streik für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Das "demokratische" Regime antwortete, indem es die Streikenden von den Anti-Aufstands-Einheiten der Polizei (den Guardias Blancas) niederknüppeln ließ, sie auseinander trieb und ihnen Ausweisdokumente und Werkzeuge wegnahm. In diese Zeit fiel auch das Massaker von El Aguate im Bezirk Chimaltenango. Dort wurden 21 Campesinos umgebracht, nachdem man sie zuvor brutal gefoltert hatte.
Aus Angst, die Kontrolle über die explosive soziale Lage zu verlieren, führte die Regierung ab 1991 unter der Schirmherrschaft der UNO "Friedensgespräche" mit der URNG. Sie wurden Ende 1996, mittlerweile unter der Regierung Alvaro Arzu, abgeschlossen. Die Guerilla verpflichtete sich, die Waffen abzugeben und die Armee als einzig legitimierten Streitkräfte des Landes anzuerkennen. Ein wesentlicher Aspekt des Abkommens war die vollständige Amnestie der Militärs und ihre Sicherheit vor Strafverfolgung für die während des 36 jährigen Krieges begangenen Verbrechen.
Eine sogenannte Wahrheitskommission, die - ähnlich wie schon vorher in Argentinien und Südafrika - eingerichtet wurde, um den "Prozess des Übergangs zur Demokratie" zu begleiten, erhielt die Aufgabe, die Vergangenheit aufzuarbeiten und die Gräuel des Krieges zu untersuchen. Dabei wurde festgestellt, dass mindestens 93% der 626 dokumentierten Massaker auf Kosten des Militärs gingen.
Die Wahrheitskommission, deren 3400 Seiten langer Bericht vor einem Jahr vorgestellt wurde, ist allerdings vollständig zahnlos. Gemäß des Friedensvertrages darf sie die Verantwortlichen weder unter Anklage stellen, noch ihre Namen veröffentlichen. Diese Regelung entspricht einerseits dem Bestreben führender Repräsentanten von Militär und der Polizei, die sich vor Strafverfolgung schützen wollen, und andererseits den Erwartungen der ehemaligen Guerillaführer, die auf eine politische Karriere im Parlament hoffen. Sie kommt auch den USA entgegen, die nicht wollen, dass ihre eigene Rolle während der blutigen Zeit zum Thema wird.
Die Klage in Spanien
Die jetzt vor der Audiencia Nacional anhängige Klage gegen die führenden Repräsentanten des Regimes droht die allgemeine Gemütlichkeit zu stören. Die Guatemaltekischen Republikanischen Front (FRG), die die gegenwärtige, extrem rechte Regierung Portillo stellt, deutet die Klage zu Recht als Angriff auf ihren Vorsitzenden, den derzeitigen Parlamentspräsidenten Rios Montt. Die Regierung kündigte sofort die polizeiliche Zusammenarbeit mit Spanien auf.
Seit 1977 lässt die spanische Polizei ihre guatemaltekischen Kollegen an ihren eigenen Erfahrungen, den Polizeiapparat der Diktatur den "demokratischen" Verhältnissen anzupassen, teilhaben. Noch während der "transicion" in Spanien, also zur Hochzeit des widerwärtigsten guatemaltekischen Staatsterrorismus, wurden mindestens 50 Mitglieder der Guardia Civil nach Guatemala entsandt, um einen Beitrag zur "Demokratisierung" des Polizeiapparates zu leisten und den Aufbau einer Polizeiakademie zu fördern und zu finanzieren. Diese Kooperation steht jetzt vor dem Ende.
Der Generalstaatsanwalt Guatemalas, Candido Bremer, hat Rigoberta Menchu aufgefordert, bei der guatemaltekischen Justiz Klage zu erheben. Gleichzeitig ließ er eine Klage des Rechtsanwalts Julio Cintron Galvez gegen Menchu zu, in der diese beschuldigt wird, durch die Anrufung eines ausländischen Gerichts das Vaterland verraten zu haben. Die Aktivitäten Menchus würden die Souveränität Guatemalas untergraben und das Land dem spanischen Kolonialismus zurückgeben. Bremer hatte früher führende Militärs gegen Klagen der Opfer der Militärherrschaft verteidigt.
Auch Vertreter der ehemaligen Guerilla lehnen die Initiative Menchus ab. Einer ihrer ehemaligen Kommandanten, Ricardo Rosales Roman, erklärte gegenüber der spanischen Zeitung El Pais, dass er es nicht für opportun halte, heute die Verbrechen der früheren Jahre wieder aufzurollen. Er wolle Menchu nicht das Recht absprechen, auch ein spanisches Gericht anzurufen, dennoch sei es wichtiger, die eigenen nationalen Institutionen zu stärken. Es sei notwendiger, im Parlament dafür zu sorgen, das im Geiste des Friedens und der Versöhnung eine echte Demokratie aufgebaut werde, als Klagen gegen das Militär, die Polizei und die Paramilitärs anzustrengen.
Dem Justizsystem Guatemalas stellt der Bevollmächtigte der Regierung für Menschenrechtsfragen, Julio Eduardo Arango Escobar, allerdings ein verheerendes Zeugnis aus. In einem Interview mit El Pais sagte er am 30. März, dass es sich in völliger Auflösung befinde. "Nicht genug damit, dass es schon bei weniger wichtigen Dingen nicht funktioniert, bei Angelegenheiten von Bedeutung und globalem Interesse versagt es vollständig."
Auf die Frage, warum dieses System nicht reformiert würde, sagte er: "Dies wäre eine Sache aufrichtiger Menschen, es ist eine Frage des Gewissens und der juristischen Berufung. Es wird viel Zeit vergehen, um dies zu erreichen." Auf die Feststellung von El Pais, das dies wohl zeige, dass das Militär nach wie vor über mehr Macht verfüge als die Justiz, erklärte Arango Escobar ausweichend, dass man zwar über gute Gesetze und ein exzellentes Strafgesetzbuch verfüge, nicht aber über genügend Persönlichkeiten, die es auch anwenden würden. In Guatemala existiere heute lediglich ein formaler, kein tatsächlicher Rechtsstaat.
Tatsächlich spiegelt die guatemaltekische Justiz, wie in jedem anderen Land auch, nur die sozialen, die Machtverhältnisse wieder. Der Friedensschluss war vor allem für die Geschäftsinteressen der in Guatemala tätigen internationalen Konzerne notwendig. Er hat ihnen und der einheimischen militärischen und ökonomischen Elite die Möglichkeit verschafft, sich den veränderten globalen Bedingungen anzupassen. Sie erhalten Rechtssicherheit für ihre Investitionen und ihr Eigentum, bei Aufrechterhaltung des polizeilichen Repressionsapparats.
Die Ursachen des Krieges indes bleiben bestehen. Die soziale Struktur des Landes zeichnet sich durch eine ungeheure soziale Ungleichheit, einer brutalen Ausbeutung der Arbeiterklasse und eine völlig ungerechte Landverteilung aus. 80% der Bevölkerung leben in schrecklicher Armut, 81% aller Kinder leiden an Unterernährung und etwa 50% der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos oder unterbeschäftigt. Die Durchschnittslöhne liegen etwa bei drei Dollar täglich. Unterdessen kontrollieren 2,5% der Landbesitzer etwa 65% des bebaubaren Ackerlandes.
Reaktionen in Spanien
In Spanien selbst hat die Klage Rigoberta Menchus das politische Establishment, allen voran den ehemaligen Premierminister der Sozialistischen Partei von 1982 bis 1996, Felipe Gonzales, aufgeschreckt.
Die spanische Staatsanwaltschaft hat am 30. März Einspruch gegen die Ermittlungen durch Ruiz Polanco erhoben. Sie erklärte, dass die spanischen Gerichte für diese Angelegenheit nicht zuständig seien und Guatemala die Freiheit haben müsse, den Horror seiner Vergangenheit selbst aufzuarbeiten. Außerdem sei sie der Auffassung, dass die in Frage kommenden Verbrechen zur Zeit des Bürgerkrieges, also unter Kriegsrecht, geschehen seien. Das sei ein weiterer Grund die Klage in Spanien nicht zuzulassen. Eine Argumentation, der sich auch Rios Montt selbst anschloss. Einen Genozid habe es im Kosovo gegeben, in Guatemala hingegen habe ein bewaffneter Konflikt stattgefunden.
Doch solcherlei juristische Spitzfindigkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um andere Dinge geht, als um Gerechtigkeit und Wahrheit.
Felipe Gonzales hatte sich schon dagegen gewandt, dass dem chilenischen Diktator Pinochet in Spanien der Prozess gemacht wird. In einem Interview mit dem chilenischen Fernsehen sagte Gonzales am 28. August 1999: " Ich habe die transicion(den Übergang von Franco zur Demokratie) durchgeführt und es hätte mir nicht gefallen, wenn sich jemand in dem Prozess, in dem wir über uns selbst bestimmten, eingemischt hätte".
Gonzales drückte damit die Befürchtungen herrschender Kreise aus, dass auch die eigene Vergangenheit wieder aufgewühlt werden könnte. Auch in Spanien gab es im Zusammenhang mit dem "friedlichen Übergang zur Demokratie" eine Generalamnestie für die faschistischen Schlächter. Die meisten von ihnen - einschließlich der Chefs der Polizei und der Guardia Civil sowie führende Banker, Politiker und Industrielle - blieben in Amt und Würden.
Auch im Hinblick auf Guatemala reagierte Gonzales auf ähnliche Weise. Er sei nicht dafür, den guatemaltekischen Generälen in Spanien den Prozess zu machen. Wünschenswert wäre es, sie irgendwann einmal vor ein internationales Gericht zu stellen. Das mag um so mehr erstaunen, als Spanien direkt von den Ereignissen in Guatemala betroffen war. Denn am 31. Januar 1980 wurden 28 Indios, die die spanische Botschaft in Guatemala-Stadt besetzt hatten, um die Welt auf die Situation in ihrem Land aufmerksam zu machen, nach einem Befehl des Präsidenten Lucas Garcia von Spezialtruppen niedergemacht. Dabei kam auch ein spanischer Diplomat ums Leben.
Alle diese Vorgänge zeigen, das es naiv wäre, von der spanischen oder gar der guatemaltekischen Justiz eine Aufarbeitung der blutigen Vergangenheit oder gar eine Verurteilung der Verantwortlichen zu erwarten. Selbst bis zu den Hüften im Morast der Vergangenheit stehend, hofft das Establishment diesseits und jenseits des Atlantiks, weiter der Karriere als Politiker, Industrielle und Juristen frönen zu können.