Die Grünen und was von ihnen geblieben ist

Der folgende Vortrag wurde im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des "Forum Gleichheit" am 16. November 1999 in Berlin gehalten. Ute Reissner ist Vorstandsmitglied der Partei für Soziale Gleichheit.

Das Waterloo der Grünen als Partei gesellschaftspolitischer Opposition - oder zumindest als Protestpartei - war ihre Beteiligung am Krieg der NATO gegen Jugoslawien unter dem Vorwand, es gelte die Menschenrechte der Kosovo-Albaner zu schützen. Kaum an der Macht, vollzog diese Partei eine derart rasche und vollständige Wandlung, dass es schwer fällt, Präzedenzfälle dafür zu finden.

Unmittelbar nach ihrem Wahlsieg im September vorigen Jahres, noch vor der Regierungsbildung, waren Fischer als designierter Außenminister und der angehende Kanzler Schröder nach Washington gereist. Wenige Tage später stimmten die Grünen im Bundestag der Entsendung von 6000 Bundeswehr-Soldaten in den Kosovo zu. Auf einem Sonder-Parteitag in Bielefeld am 15. Mai 1999, noch während der NATO-Bombardierung, stellte sich die Mehrheit der Delegierten hinter diesen Beschluss und erhob ihn damit zur offiziellen Politik der gesamten Partei. Es fiel den Grünen zu, den ersten Kampfeinsatz der deutschen Armee seit 1945 vor der Bevölkerung zu legitimieren.

Mit diesem Schritt brachen auch innenpolitisch alle Dämme, die diese Partei bisher noch von einer allzu rasanten Rechtswende abgehalten hatten. Soeben, nämlich am vergangenen Freitag, ist der erste Teil des Sparpakets ("Zukunftsprogramm 2000") der Regierung mit den Stimmen der Bündnisgrünen im Bundestag beschlossen worden. Rund die Hälfte der angepeilten Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden Mark ist dadurch vermittels Angriffen auf Rentner und Arbeitslose hereingebracht.

Nichts deutet darauf hin, dass Bündnis 90 / Die Grünen von dem eingeschlagenen Weg wieder abweichen werden. Sogar was die Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Schröders Widersacher Oskar Lafontaine angeht, der die Kürzungspolitik umsichtiger und ausgewogener gestalten will, haben sie der SPD-Spitze klar den Rücken gestärkt.

In drei Tagen, am 19. November, beginnt ein "Grundsatzprogramm- und Strategiekongress" von Bündnis 90 / Die Grünen in Kassel. Er soll vor allem einer Bilanz des ersten Regierungsjahres von Rot-Grün gewidmet sein. Eine "offene Diskussion" soll stattfinden, erklären Gunda Röstel und Antje Radcke für den Vorstand. Doch was soll überhaupt noch diskutiert werden? Steht der Kurs nicht längst fest, egal, was noch palavert wird?

"Ist die notwendige Offenheit für eine fruchtbare Programmdebatte überhaupt noch gegeben? Können politische Strategien überhaupt noch geändert werden...?" Diese sehr angebrachten Fragen stellt Elmar Altvater, der linke Wirtschaftsprofessor, seit 20 Jahren Mitglied der Grünen. Von ihm stammt übrigens auch der treffende Ausdruck von der Rechtfertigung des NATO-Bombardements als "Waterloo" der Grünen, und eine scharfsichtige Charakterisierung des Krieges selbst, der mit der Errichtung eines Protektorats geendet habe, in dem einer Grüner Cecyl Rhodes (1) (gemeint ist Tom Königs) die Zivilverwaltung aufbaue.

Doch Altvater kann sich scheinbar zu keiner politischen Konsequenz und zu keinem klaren Entschluss durchringen. Er reagierte bereits im Frühjahr auf den Krieg, indem er seine Beitragszahlungen einstellte und erklärte, ein Partei-Ausschluss würde ihn nicht stören - aber er trat nicht aus, obwohl es stimmt: Die Orientierung der Grünen steht fest und wird sich nicht mehr ändern. Sie wird aber verfeinert und entwickelt.

Dies geht recht anschaulich aus dem Reader zum bevorstehenden Kongress hervor, den die Partei veröffentlicht hat - und in dem Altvater, aller besseren Erkenntnis zum Trotz, seinen Diskussionsbeitrag veröffentlicht hat.

Daneben finden sich Beiträge vorwiegend von verschiedenen grünen und anderen Professoren, aber auch von Hans-Olaf Henkel, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Um zu illustrieren, in welche Richtung sich Bündnis 90 / Die Grünen weiter entwickeln, eignen sich einige Zitate aus diesem Reader und anderen Diskussionspapieren. Dabei möchte ich die Frage von Krieg und Militarismus an erste Stelle rücken, weil sie bestimmend auf sämtliche anderen Politikbereiche einwirkt. Der Krieg der NATO gegen den Kosovo war nicht nur das einschneidendste Ereignis des ersten Jahres der rot-grünen Koalition in Deutschland, er war auch ein weltpolitischer Einschnitt. Ohne an dieser Stelle die gesamte Analyse unserer Partei aufrollen zu können, sollte man noch einmal festhalten, dass dieser Krieg im wesentlichen den Auftakt zu einer Neuaufteilung der Welt unter den mächtigsten imperialistischen Ländern darstellte.

Die USA übernahmen die Initiative und die Führungsrolle, um nach dem Kollaps der Sowjetunion das Rennen um Einflusssphären und Rohstoffquellen zu beginnen. Sie begannen aggressiv ihre militärische Überlegenheit auszuspielen. Doch die Europäer, und hier insbesondere die Deutschen, versuchen rasch aufzuholen, und so bildet das Salonfähig-Machen des Militarismus einen bestimmenden Faktor in der Politik der Grünen.

Das alte Lied - Aufrüstung im Namen des Friedens

Als erstes findet man im Kongress-Reader einen Text des renommierten Professors Dr. Dr. Dieter S. Lutz vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Er trägt den Titel "Der deutsche Weg - dem Frieden dienen! Fragen an Bündnis 90 / Die Grünen" und entwirft ein Konzept europäischer Großmachtpolitik unter deutscher Führung. Sein Leitmotiv ist die Lockerung der europäischen Abhängigkeit von den USA bzw. der NATO.

Prof. Lutz zitiert zunächst den alten SPD-Politiker Egon Bahr, der, da er keine offizielle Funktion mehr innehat, seiner Empörung freien Lauf lassen kann: "Amerika betrachtet Europa strategisch de facto als Protektorat am Westrand des eurasischen Kontinents, dessen Schutzbedürfnis ebenso zu fördern ist wie die Marginalisierung Russlands und die Schwächung seines Einflusses am Südrand der ehemaligen Sowjetunion."

"Solange sich aber die Europäer nicht auf eine gemeinsame Friedens- und Sicherheitsordnung einigen", heißt es dann in dem Text, "solange wird Amerika seinen dominanten, ja hegemonialen Einfluss behalten." Er befasst sich weiter mit der Frage, wie die Grünen auf eine deutsche Außenpolitik hinarbeiten sollten, die diesen Zustand verändert, die Europa von der NATO befreit, und zwar unter dem Motto, so wörtlich: "Führen durch Dienen". Deutschland sei zwar "das mächtigste Land Europas", könne aber aufgrund seiner Vergangenheit nicht mit einem offenen Führungsanspruch auftreten.

Diese Aussagen zitiert man am besten vollständig und im Zusammenhang, denn Lutz bringt Überlegungen auf den Punkt, die breite Teile der offiziellen deutschen Politik bewegen und in die sich die Grünen nahtlos eingliedern. Er entwickelt eine auf Deutschland zugeschnittene Großmacht-Strategie.

"Welche Rolle", fragt er, "kann oder soll Deutschland als das mächtigste Land Europas auf dem Weg zu einer dauerhaften Friedens- und Sicherheitsordnung in und für Europa überhaupt übernehmen? Die Vormachts- und Führungsrolle?"

Also, direkt "Ja" möchte Lutz da nicht sagen:

"Diese Frage mit einem ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ zu beantworten, hieße die Realität ebenso wie die Geschichte Deutschlands zu leugnen. Neben Größe, Lage und Wirtschaftskraft gibt die deutsche Vergangenheit den Ausschlag für die Position und Rolle, welche Deutschland in Europa gegenwärtig und auch künftig ein- und übernehmen kann.

Für Deutschland als stärkste Macht Europas bedeutet dies zweierlei: zum einen Teilung der Führungsrolle, zum anderen ‚Führen durch Dienen‘.

Was heißt ‚Teilung der Führungsrolle‘? Der Wille, ein geopolitisch definiertes Europa zu schaffen, findet sich außer in Deutschland gegenwärtig am stärksten in Frankreich. Die Bereitschaft ein regionales System kollektiver Sicherheit in und für Europa zu bauen, ist gegenwärtig in Russland noch immer vorhanden oder kann wiederbelebt werden. Nur im Schulterschluss von Frankreich und Deutschland und unter partnerschaftlicher und gleichberechtigter Beteiligung Russlands und anderer Staaten kann der Aufbau Europas gelingen, kann eine europäische Sicherheitsarchitektur funktionieren. Deutschland muss seine Führungsrolle deshalb mit Frankreich und Russland teilen..."

Allzu selbstlos sollte man jedoch nicht sein. Also ergeht sich Lutz in semantischen Spitzfindigkeiten:

"‚Dienen‘", so erläutert er, "heißt aber ‚sich aktiv zur Verfügung stellen‘... Das aktive Moment in der Bedeutung von ‚dienen‘ schließt ferner ein Verständnis dieser Absichtserklärung im Sinne von ‚abwarten‘, ‚Ruhe bewahren‘ oder ‚anderen die Initiative überlassen‘ aus. Es verlang vielmehr Engagement und Eigeninitiative vom ‚deutschen Volk‘ [sic] im Sinne einer stetigen und nachhaltigen Friedenspolitik."

Dass das Ziel dieser "Friedenspolitik" die "dauerhafte Abschaffung der Institution Krieg" sein soll sowie der "dynamische Aufbau gewaltfreier (internationaler) Strukturen", wird natürlich gebührend betont. Es ist jedoch völlig nebensächlich. Die Hauptsache ist die Strategie, eine eigene europäische Sicherheitspolitik unter deutscher Führung zu entwickeln. Im Klartext, ein Bündnis mit Frankreich und Rest-Russland gegen den Einfluss der USA in Europa.

Konkretisiert wird diese Perspektive bereits in einem Papier vom September 1999 von Angelika Beer, der verteidigungspolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen. Es trägt den Titel "Weniger ist mehr! Überlegungen zu einer sicherheitspolitisch und technologisch orientierten Modernisierung der Bundeswehr".

Quintessenz ist die Schaffung einer schlagkräftigen Berufsarmee, die ad hoc zu Einsätzen rund um die Welt bereit ist.

Natürlich wird eingangs wieder ausführlich beteuert, die Reform der Streitkräfte müsse in eine "präventive Außen- und Sicherheitspolitik" eingebettet werden, und eine zeitgemäße Bundeswehr sei "nicht Mittel der gewaltsamen Durchsetzung nationaler Interessen". Man kennt dieses Phänomen aus der Geschichte. Nie wird Friedenswille und Pazifismus mehr beschworen, als während der Vorbereitung von Kriegen.

Die Bundeswehr, beklagt Angelika Beer, sei noch völlig auf Landesverteidigung im Rahmen des Kalten Krieges ausgerichtet. "Die bundesdeutschen Streitkräfte... wurden nur sehr bedingt an die jüngsten sicherheitspolitischen Entwicklungen, an neue Anforderungen und die technischen Umbrüche des letzten Jahrzehnts angepasst. Unzureichend strukturelle Reformen haben die Bundeswehr in eine Sackgasse geführt, aus der sie - auch um ihrer Zukunftsfähigkeit willen - wieder herausgeführt werden muss."

Die Bekehrung vom Pazifismus zur Zukunftssicherung der Bundeswehr nimmt bei Angelika Beer dann regelrecht missionarische Züge an.

Notwendig sei der Aufbau einer eigenständigen europäischen Verteidigungsidentität: "Bündnisverteidigung und Krisenmanagement erfordern die Restrukturierung der Bundeswehr hin zu einer Armee, die angemessene, hervorragend ausgebildete und adäquat ausgestattete Kräfte von geringer Mobilisierungsabhängigkeit in Europa sowie seinen Rand- und Nachbargebieten zum Einsatz bringen kann. Erforderlich sind Kräfte, die durch hohe Mobilität, technische und operative Überlegenheit, Führbarkeit und flexible Einsatzmöglichkeiten im Kontext multinationaler und internationaler Einsätze gekennzeichnet sind."

Dies, stellt sie bedauernd fest, "ist weder bei den Grünen noch in Deutschland Konsens".

Im weiteren werden recht detaillierte technische Pläne zur Umgestaltung der deutschen Armee angeführt, um "leistungsfähigere und kostengünstigere Streitkräfte" zu schaffen. "Wenn wir nicht bereit sind", so schließt der Text, "alle Instrumente, auch die militärischen, die zur Konfliktbearbeitung zur Verfügung stehen zu reformieren und entsprechend anzupassen, besteht die Gefahr, dass wir die Chance eines deutschen Beitrags zum Wandel der internationalen Beziehungen verpassen." Das ist der letzte Satz. Er beinhaltet ein klares Bekenntnis zu den nationalen deutschen Interessen, sprich den Interessen der herrschenden Klasse in Deutschland.

Natürlich wimmelt das Papier von Begriffen wie "Krisenprävention", "Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung", und ähnlichem mehr. Doch das ist nur schmückendes Beiwerk, denn im Ernstfall zählt es nicht. Was soll man denn tun, wenn die anderen einen Krieg anfangen? Wenn das "Krisenmanagement" nicht greift? Dann müssen leider doch die Waffen sprechen. "Das Kosovo-Engagement", erläutert der Grünen-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, in seinem Beitrag zum Kongress-Reader, "war kein Verrat grüner Grundsätze durch Regierungspolitik, es war die Umsetzung grüner Friedenspolitik in Kriegszeiten." Eben.

Grüne Sozialpolitik

Was die Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht, so stehen die Grünen heute eindeutig am rechten Flügel der Regierungskoalition und in vieler Hinsicht sogar rechts von der CDU. Das Kürzungsprogramm, das sie jetzt gemeinsam mit den Sozialdemokraten durchsetzen, geht weit über das hinaus, was die Regierung Kohl je gewagt hatte. Das gleiche gilt für die Gesundheitsreform ihrer Ministerin Andrea Fischer.

Die Diskussionspapiere der Grünen lesen sich über weite Teile wie ein Abklatsch der wirtschaftsliberalen Phraseologie.

Die "Berliner Thesen zur Neubestimmung Grüner Politik" vom Oktober 1999 distanzieren sich beispielsweise gleich im ersten Punkt von der Vergangenheit der Partei. Man dürfe "nicht mehr der Sammelplatz all jener sein, die außerhalb der etablierten Gesellschaft stehen". Man müsse sich für Konzepte stark machen, die "mehr Selbstverantwortung und Autonomie ermöglichen und eine kritische Position gegenüber bevormundender staatlicher Planung und Lenkung" beziehen. Gegenüber der Wirtschaft seien "gesellschaftliche und wirtschaftliche Regulierungsmechanismen... effektiver und zukunftsträchtiger" als Vorschriften und Verbote. Besonderen Wert lege man auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und der Selbständigkeit. Etc., etc. Eine Art kurzgefasste Bibel des Marktliberalismus.

Die Wiedereinführung der Vermögens- und der Gewerbekapitalsteuer, vor den Wahlen noch versprochen, werden ad acta gelegt. Durch "moralische Einschüchterung der Besserverdienenden und entsprechende Zwangsabgaben" könne man nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit gelangen. Überdies seien die Grünen in der Sozialpolitik nicht "ausschließlich die Anwälte von ausgegrenzten Minderheiten".

Aber nun genug davon.

Verteidiger der Grünen oder Zweifler an der Rigorosität dieser Rechtswende werden einwenden, dass es ja auch einen linken, kritischen Flügel gebe, der mit diesem Kurs nicht einverstanden sei.

Das ist wahr. Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb sich in dieser Partei der rechte Flügel mit solcher Leichtigkeit und Vehemenz durchgesetzt hat, während der (schrumpfende) kritischere Teil ohnmächtig und hilflos danebensteht.

Hintergründe

Es gibt zwei grundlegende Ursachen und Triebkräfte für die Entwicklung der Grünen: Ihre sozialen und ideologischen Wurzeln und ihre dadurch bedingte Reaktion auf die gesellschaftliche Entwicklung der letzten zwanzig Jahre.

Die Entstehung der Grünen hing direkt mit der Krise der Arbeiterbewegung zusammen. Die Gründergeneration übersetzte ihre Enttäuschung über die Sozialdemokratie und die stalinistischen Kommunistischen Parteien in die Ablehnung jeder Perspektive, die sich auf die Arbeiterklasse basiert. So mauserten sich die Grünen sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihrer Programmatik zu einer geradezu chemisch reinen Partei des Kleinbürgertums, die sich anfangs über alle gesellschaftlichen Zwänge erhaben dünkte, um am Ende nolens volens zum nützlichen Idioten der Herrschenden zu werden.

Als entfernte Vorläufer der Grünen werden allgemein eine Reihe von Protestbewegungen angesehen, die in die Zeit der BRD vor 1968 fallen. Die SPD und die Gewerkschaften hatten ungeachtet ihrer Oppositionsrolle einen unverzichtbaren Beitrag zur Wiederherstellung des Kapitalismus in Westdeutschland geleistet und fanden sich oftmals am rechten Rand des Geschehens wieder. Zwei Fragen lösten heftige Auseinandersetzungen aus: Die Mitbestimmung und die Wiederbewaffnung. Zunächst zur letzteren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Abneigung gegen den Militarismus in der Bevölkerung so groß und so allgemein verbreitet, dass selbst Franz Josef Strauß, der Rechtsaußen der CSU, 1946 den berühmten Ausspruch tat: "Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen." Die Wiederbewaffnung Deutschlands erschien vielen Beobachtern angesichts dieser Stimmung schlechterdings unmöglich.

Die SPD unter Kurt Schumacher war derart nationalistisch und antikommunistisch eingestellt, dass die Proteste gegen die Wiederbewaffnung nicht von ihr, sondern von den Kirchen und verschiedenen kommunistischen Gruppen ausging. Die SPD schloss sich erst später an.

Der DGB und seine größte Einzelgewerkschaft, die IG Metall verabschiedeten sich nach dem Zweiten Weltkrieg schrittweise von jeder weitergehenden gesellschaftlichen Perspektive. Hatten sie anfänglich noch die Demokratisierung der gesamten Wirtschaft und die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie als ersten Schritt zum Sozialismus gefordert, so wichen sie immer weiter zurück. Am Ende stand eine Mitbestimmung nur in der Montanindustrie, die den Gewerkschaftsführern Sitze in den Aufsichtsräten sicherte.

1959 verabschiedete sich die SPD auf ihrem Parteitag in Bad Godesberg von ihrem Anspruch, eine Arbeiterpartei zu ein, und erklärte sich explizit zur Volkspartei. Dabei kam es zum Bruch und zum Ausschluss des Sozialistischen Studentenbundes SDS, obwohl dieser ausgesprochen zahm war.

Größeren Klassenkämpfen begegnete die Sozialdemokratie mit weiteren Rechtsschwenks und Repression. Auf die Massenstreiks der Bergarbeiter von 1966 gegen umfangreiche Zechenschließungen, die der Kontrolle der Gewerkschaft entglitten, reagierte die SPD mit der Bildung einer großen Koalition. Sie trug die Notstandsgesetze mit, die die verfassungsmäßige Außerkraftsetzung der Verfassung ermöglichen - im wesentlichen die Wiedereinführung desselben Mechanismus, der Hitler einst die legale Machtübernahme ermöglicht hatte.

Die Ostermarsch-Bewegung der sechziger Jahre, die alljährlich gegen Atomwaffen und Wiederaufrüstung demonstrierte, bestand aus einer buntscheckigen Mischung aus Christen, Pazifisten, Stalinisten. 1965/66 kam es zu den ersten Protesten gegen den Krieg der USA in Vietnam.

Diese Aufzählung soll illustrieren, dass die Nachkriegsperiode keine einheitliche Zeit darstellt, in der die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften im Westen kontinuierlich für Reformen gekämpft hätten. Es war vielmehr so, dass ihr Hauptanliegen die Stabilisierung und Sicherung der kapitalistischen Herrschaft war und dass sie jedes Mal, wenn die Kämpfe der Arbeiterklasse ein gewisses Maß überschritten oder sozialer Protest lauter wurde, mit Repressalien reagierten. Die "Reformperiode" im eigentlichen Sinne währte im Grunde nur von etwa 1970 bis 1974.

Es überrascht daher nicht, dass der gesellschaftliche Protest, der sich mit der Studentenbewegung ankündigte, außerhalb der Kontrolle und Reihen der Bürokratie seinen Anfang nahm, und damit eben auch außerhalb der offiziellen "Arbeiterbewegung".

Der SDS, der die Führung der Studentenbewegung innehatte, mobilisierte vor allem gegen autoritäre Strukturen an den Universitäten. Er stellte sich explizit hinter die Theorien Herbert Marcuses, der behauptete, dass die Arbeiter korrumpiert und verbürgerlicht seien und keine soziale Basis für eine radikale gesellschaftliche Opposition mehr abgeben könnten.

In der Zeit von 1969 bis 1971 entstanden dann zahlreiche stalinistische, maoistische, anarchistische Gruppen spontan oder wurden von offizieller Seite (der SPD im Falle der Jusos, oder der SED im Falle der DKP) als Auffangbecken gegründet. Hinzu kamen diverse "Stadtguerillas" und schließlich terroristische Gruppierungen.

Diese Gruppierungen brachten in erster Linie die allgemeine heillose Verwirrung über die Perspektive des Sozialismus zum Ausdruck. In ihrer naiven Anbiederung an oder konfusen Opposition gegen Stalinismus und Sozialdemokratie widerspiegelte sich das große Problem des 20. Jahrhunderts: die Zerschlagung der marxistischen Arbeiter-Massenbewegung in den dreißiger Jahren. Wie oft in der Geschichte, begann das Infrage-Stellen der bestehenden Verhältnisse unter Schichten der intellektuellen Jugend. Doch nur sehr wenige fanden zu einer tragfähigen Perspektive.

Die Vierte Internationale, die in jahrzehntelanger Opposition gegen den Stalinismus eine solche Perspektive entwickelt hatte, war bereits in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren durch eine Strömung geschwächt worden, die sich unter dem Druck der Nachkriegsverhältnisse an den Stalinismus angepasst und die unabhängige historische Rolle der Arbeiter aufgegeben hatte. Diese von Michel Pablo und Ernest Mandel geführte Tendenz passte sich folgerichtig an die kleinbürgerlichen Theoretiker der Studentenbewegung an.

Die verlorenen Kinder der SPD

In der Bundesrepublik gelang es zunächst der Sozialdemokratie, die radikalisierte Generation mit Hilfe von staatlichen Reformmaßnahmen aufzufangen. Willy Brandt bezeichnete die protestierenden Jugendlichen als die "verlorenen Kinder der Sozialdemokratie", die es heimzuholen gelte.

Zu diesem Zweck kam einige Jahre lang das soziale Füllhorn zum Einsatz, und es wurde eine ganze Schicht geschaffen, die von staatlichen Posten und Geldern abhängig war: zahlreiche neue Lehrer, insbesondere Hochschullehrer, Sozialarbeiter, Leute auf neugeschaffenen Stellen im öffentlichen Dienst und in sozialen Institutionen des Staates oder staatlich finanzierter anderer Träger - etwa der Wohlfahrtsverbände oder der Kirchen.

Dazu kamen Zugeständnisse bei Löhnen und Sozialleistungen für die Arbeiter.

Das Ende dieses Reformbooms infolge der weltweiten Rezession 1974/75 verursachte einen Schock. Helmut Schmidt löste Willy Brandt als Kanzler ab. Die Senkung der Aufwendungen für den öffentlichen Dienst traf gerade jene Schichten, die soeben erfolgreich integriert worden waren: die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich, die Verwalter des Wohlfahrtsstaates, die Angestellten der Hochschulen. Natürlich mussten auch die Arbeiter bluten.

Der Sozialabbau ging mit einer ideologischen Wende einher. In der Bundesrepublik setzte eine regelrechte Hatz auf alles "Linke" ein: die Gewerkschaften wurden systematisch "gesäubert", die SPD-FDP-Regierung hatte noch unter Brandt den sogenannten "Radikalenerlass" beschlossen, der zur Überprüfung von 3,5 Millionen Bewerbern im öffentlichen Dienst auf ihre Gesinnung führte. (Abgelehnt oder mit Disziplinarmassnahmen belegt wurden jeweils etwas über 2000, entlassen rund 250.)

In dieser Entwicklung liegen die Keime der Grünen. Ein Teil des aufgeklärten, progressiv oder wenigstens gemäßigt progressiv gesonnenen Kleinbürgertums wandte sich enttäuscht von der Sozialdemokratie ab. Doch dieser Bruch war nicht von der Hinwendung zu einer revolutionären Perspektive gekennzeichnet, sondern von einer Rolle rückwärts, von einem mehr oder weniger bewussten Bruch mit allem, was an die Arbeiterbewegung erinnerte.

Die überwiegende Mehrzahl der "kommunistischen", "revolutionären", d. h. stalinistischen und maoistischen Gruppierungen brach zusammen. Nun begann der Rückzug ins Privatleben, der Rückzug auf die Politik der "unmittelbaren Betroffenheit", der "Bedürfnisbefriedigung", des "Hier und Jetzt", wie es so schön hieß. Es entstand die Alternativszene mit ihren Kleinunternehmen, Dritte-Welt- und Ökoläden, mit ihrer Verherrlichung des Stumpfsinns, ihrem Hang zum Mystizismus, ihrer Konzentration auf den eigenen Bauchnabel, und allem, was diese Leute bis heute zu unangenehmen Zeitgenossen macht.

Es war ein rückwärtsgewandter Bruch mit der Sozialdemokratie und dem Stalinismus, bzw. mit dessen Ablegern. Es war ein Bruch ohne weitergehende Perspektiven, vergleichbar der Reaktion der DDR-Bürgerrechtler auf die SED: eine konfuse Ablehnung, die schließlich in rechte Kanäle floss. Bei den Grünen dauerte die Rechtswendung etwas länger, als bei den Bürgerrechtlern. Nicht, weil sie stabiler gewesen wären. Es hängt eher mit der Stagnation in der politischen Entwicklung während der achtziger Jahre zusammen: da dauerte alles etwas länger.

Linkssein ohne Arbeiterklasse

Ulrich Rippert hatte letzte Woche an dieser Stelle erklärt, dass der Verrat des Stalinismus die Arbeiterbewegung nach 1945 auf die Sozialdemokratie zurückwarf. Der nächste Verrat der Sozialdemokratie - diesmal an begrenzten Reformen - Mitte der siebziger Jahre warf eine Schicht von Oppositionellen auf 1848 zurück - auf die kleinbürgerliche Demokratie, die schon Marx und Engels so vernichtend charakterisiert hatten.

Von der Arbeiterklasse wollten die ehemaligen "Kommunsiten" und "revolutionäre" jetzt nichts mehr wissen. Zwei amerikanische Wissenschaftler und Autoren einer umfangreichen Studie über die Grünen, die vor zwei Jahren in deutscher Übersetzung erschienen ist, bringen es fertig, in dieser Entwicklung auch noch etwas Positives zu sehen. (2) Sie schreiben:

"Es bedurfte der Grünen als Partei, um die Vorstellung von der Linken zu verändern, wie sie sich in den meisten europäischen Gesellschaften in den 1880er Jahren und in fast allen um die Jahrhundertwende durchgesetzt hatte. Bis zum theoretischen Beitrag der Neuen Linken in den 60er Jahren und dem praktisch-politischen Beitrag der Grünen in den 80er Jahren bedeutete ‚links‘ im wesentlichen eine Politik der sozialen und ökonomischen Gleichheit, wie sie vom wichtigsten Subjekt der Linken, der Klasse der Industriearbeiter und ihren politischen Repräsentanten in den sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien konzipiert worden war... ‚Linkssein‘ war in der Tat fast ein Jahrhundert lang das Monopol der organisierten Arbeiterklasse und ihrer Politik... Die traditionelle Achse der Linken sah in der Arbeiterklasse den gesellschaftlichen Träger des Paradigmas." (S. 388f)

Die Grünen hätten demgegenüber eine ganz neue Achse geschaffen, entlang derer "in Zukunft Linkssein definiert werden wird". Die Verbindung linker Politik zur Arbeiterbewegung sei nun - endlich! - gebrochen und damit der Weg zu neuen Ufern frei. Wie gesagt, das Buch kam hier vor zwei Jahren auf den Markt. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Autoren die seitherigen Ereignisse bewerten.

Der reaktionäre Kern, der in den Ursprüngen der Grünen liegt, war anfangs hinter ihrem buntscheckigen Erscheinungsbild verborgen. Die Gründung der Partei erfolgte im Jahr 1980, und zwischen 1975 und 1980 gab es zahlreiche Vorläufer- und Zwischengruppierungen, alternative und bunte Listen, Bürgerinitiativen, u.ä. Ihre Anliegen waren oftmals gar nicht falsch, kreisten aber um eine sehr beschränkte Achse.

Das Thema "Ökologie" wurde deshalb zum Markenzeichen der neuen Entwicklung, weil es sich als kleinster gemeinsamer Nenner anbot. Unter diesem Schlagwort trafen sich enttäuschte ehemalige Straßenkämpfer mit beunruhigten Angehörigen der Oberschicht, die irgend eine Umgehungsstrasse verhindern oder das Eigenheim nicht auf verseuchtem Boden errichten wollten. Es hatte bereits in den sechziger Jahren diverse Bürgerinitiativen oder Umweltschutzgruppen gegeben. Doch erst als ein bedeutender Teil der Protestlergeneration jede Hoffnung auf die Arbeiterklasse fahren ließ, wurde die Ökologie zum Markenzeichen einer neuen Bewegung.

"Umweltschutz" war ein falsches Etikett, hinter dem sich etwas ganz anderes verbarg: die Wegwendung von der sozialen Frage. Da bot sich die "Natur" als Gegenstück zur Gesellschaft an.

Der bereits erwähnten amerikanischen Autoren, große Bewunderer der Grünen, schätzen dies ganz nüchtern ein. Sie schreiben über die GLU, eine Vorläuferorganisation:

"Wenn auch die Ökologie für die Aktivisten offensichtlich große Priorität besaß, erreichte sie ihre zentrale Bedeutung jedoch weitgehend aus Gründen, die mit der strategischen Situation und der historischen Entwicklung der Partei zusammenhingen. Die Partei umfasste politisch heterogene Gruppen, die in vielen Fragen andere Ansichten vertraten. Um die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, war es wichtig, dass die verschiedenen Strömungen zur Zusammenarbeit fanden. Gleichzeitig hatte die Parteiführung den Eindruck, dass die Auffächerung und Erweiterung politischer Zielvorstellungen notwendig sei, wenn die GLU von der Protest- zu einer Programmpartei werden sollte. Die Ökologie entsprach sowohl den strategischen als auch den programmatischen Erfordernissen... Das Primat - und die Ambivalenz - der Ökologie diente Rechten wie Linken als einigende Formel und bildete den kleinsten gemeinsamen Nenner zweier ansonsten feindlicher Lager." (S. 290/91)

Diese vollkommen prinzipienlose Grundlage der neuen Bewegung machte sie zu einem idealen Spielball und Karriere-Sprungbrett für ebenso skrupellose wie machtgierige Leute vom Schlage eines Joseph Fischer.

Rückwärtsgewandte Wirtschaftskonzepte

Die Grünen entdeckten die "Menschheitsfragen" fünf Jahre vor Gorbatschow. Die Ökologie, heißt es in ihrem Gründungsprogramm von 1980, sei keine Klassenfrage, sondern eine Gattungsfrage. "Folglich lässt sich die Krise des modernen Kapitalismus nicht mehr nur mit Kategorien der ökonomischen Widersprüche begreifen. Sie ist in zunehmendem Maße durch die natürlichen Grenzen unserer Umwelt bedingt." (S. 236)

Die "ökologische Alternative" der Grünen war ein rückwärtsgewandtes Wirtschaftskonzept der Kleinproduktion. "Linke" Theoretiker der Grünen hinterfragten eilfertig "die positive Einstellung des marxistischen Sozialismus zu Wachstum, Technik und Ausbeutung der Natur." Der Grünen-Ideologe Thomas Schmid "überwand" den Marxismus mit einer Art Sündenfall-Philosophie: "Der Industrialismus ist der bislang letzte und zerstörerischste Erbe einer Geschichte, in der der Mensch sich zum Herrn der Welt machte." (S. 222) Das größte Übel sei der Anspruch der Menschheit, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Die Perspektive der sogenannten "Ökosozialisten" in den Grünen, die eine Zeitlang als Bürgerschreck galten, war von einer geradezu apokalyptischen Weltsicht geprägt: Ihre bekanntesten Vertreter, Rainer Trampert und Thomas Ebermann, schrieben 1984: "Die Hauptzielscheibe des ökosozialistischen Revisionismus [zu dem sie sich bekennen] war der naive Glaube des Marxismus an den objektiven, neutralen und emanzipatorischen Charakter von Wissenschaft, Technik und Produktion." (S. 225)

Nach mehr großmäuligen als theoretischen Ausführungen heißt es: "Diese Ziele konnten niemals in einem proletarischen Staat oder durch eine sozialdemokratische Technokratie erreicht werden. Statt dessen befürworteten die Ökosozialisten eine dezentrale, demokratische Lösung der gegenwärtigen Krise. Sie wollten, soweit es machbar war, die politische und wirtschaftliche Macht wieder auf die lokale Ebene zurückholen. Nur wenn die Städte und Gemeinden für die soziale und wirtschaftliche Planung zuständig waren, konnte das Übel einer zentralen Steuerung vermieden werden." (S. 227)

Man erkennt hier bereits die Argumente, mit denen heute der Sozialabbau durchgesetzt wird. Kürzungen von Bundes- und Landesmitteln werden ja in der Regel immer mit einer "stärkeren Eigenverantwortung" der Kommunen gerechtfertigt. Man erkennt in dieser Argumentation auch bereits die Ansätze zu einer extrem bornierten, egoistischen Politik: jeder ist sich selbst der nächste.

Wie eine Illustration dazu wirkt der Artikel über die grüne Schulpolitik in NRW, der heute auf dem WSWS veröffentlicht ist. Unter dem Motto der "Eigenverantwortung" der Schulen wird der Kürzungshebel angesetzt und die Schulen dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb unterworfen.

Man erkennt an dieser Frage - die Ablehnung jeder überregionalen oder zentralen Verwaltung und Planung - wieder besonders deutlich, was die Grünen (West) am Ende mit den Bürgerrechtlern (Ost) zusammenführte: die Opposition gegen das, was sie unter "proletarischem Staat" oder "sozialdemokratische Technokratie" verstanden, und zwar eine Opposition von einem rückwärtsgewandten Standpunkt aus. Es ist im wesentlichen eine beleidigte Reaktion jener Schichten, die sich "von denen oben" vernachlässigt fühlten und sich ein Mehr an Privilegien und gesellschaftlicher Anerkennung gewünscht hatten. Sie wollten keine Umwälzung der bestehenden Verhältnisse, sondern einen besseren Platz darin für sich selbst.

In ihren Anfangsjahren verstanden sich die Grünen dabei durchaus als linke Partei und trugen in ihrem Programm zahlreiche soziale Forderungen mit sich herum, die aus der Protestbewegung stammten und im wesentlichen eine Fortsetzung und Ausweitung des Sozialreformismus verlangten. Auf dieser Welle schwamm auch ein grüner Gewerkschaftsflügel, der oftmals in Opposition zur etablierten Bürokratie stand. Ein bunter Kranz sozialer Forderungen rankte sich um die reaktionäre Achse der Ablehnung von Wissenschaft und Technik, der Glorifizierung der Kleinproduktion, usw. Diese Widersprüchlichkeit machte es Arbeitern und Jugendlichen schwer, die Grünen zu durchschauen.

Offen reaktionäre, nationalistische Tendenzen hatte es im Umfeld der Grünen von Anfang an gegeben, sie waren jedoch vor der Regierungszeit immer eine Randerscheinung geblieben. Interessant ist, dass in der Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre aus dem Umfeld der Grünen offen nationalistische Töne laut wurden, und zwar von dem ehemaligen General Bastian und dem ehemaligen CSU-Militär Alfred Mechtersheimer (beide kurzfristig Grünen-Abgeordnete). Sie begründeten ihre Opposition gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen mit den nationalen Interessen Deutschlands. Mechtersheimer steigerte sich in einen geradezu hysterischen Hass gegen alles Amerikanische hinein. Bastian liierte sich mit Petra Kelly von der sogenannten "Ökopax"-Strömung und beging 1992 gemeinsam mit ihr Selbstmord - ein Sinnbild für ihre Ausweglosigkeit.

Integration in den etablierten Politikbetrieb

Die Entwicklung der Grünen in den achtziger Jahren, insbesondere nach der ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene in Hessen 1985, war im wesentlichen die der Integration in den etablierten Politikbetrieb. In den Kommunal- und Landesparlamenten lernten die Abgeordneten sozusagen von der Pike auf das schmutzige Geschäft der Politik. Man arrangiert sich, auch die Basis etabliert sich und steigt gesellschaftlich auf. Die Schicht der ehemaligen Protestler wird wohlhabend, gut situiert, und neigt weniger zu rebellischen Ausfällen. Die Wählerschaft der Grünen altert von Jahr zu Jahr.

Das Ende der DDR konfrontierte die Grünen mit Fragen, die sie nicht ansatzweise beantworten konnten. Immerhin hatten die ehemaligen Mao-, Hoxha- oder Stalin-Anhänger sämtliche Klärungsversuche über den Charakter der Sowjetunion vor langer Zeit begraben. Die Beilegung dieser theoretischen Streitigkeiten zugunsten "konkreter ökologischer Projekte" hatte die Gründung der Grünen ja erst ermöglicht. Die Ereignisse von 1989/90 haben sie infolgedessen kalt erwischt. Klar war nur eines: Der Zusammenbruch des Stalinismus besiegelte die Abkehr der Grünen von jeglicher Perspektive, die sich an den Arbeitern oder Unterdrückten orientierte. Sie sahen darin, wie das gesamte Establishment, das Scheitern des Sozialismus.

Die Zeit seit der Regierungsübernahme 1998 hat deutlich gemacht, wie unwiederbringlich diese Partei bereits jeden Widerstandsgeist verloren hatte. Sie knickte sang- und klanglos ein - die Zustimmung zum Kosovo-Einsatz stand an erster Stelle, aber zu den bekanntesten "Umfallern" der neuen Amtsträger zählen auch die Rücknahme der Altauto-Verordnung nach einem Anruf des VW-Chefs Piech bei Schröder, sowie die Rücknahme des bereits mit der SPD vereinbarten Ausstiegs aus der Wiederaufarbeitung atomarer Brennelemente zu Beginn diesen Jahres.

Zum Schluss kann man festhalten, dass der Versuch, eine "linke Politik getrennt von der Arbeiterklasse" zu betreiben, auf der ganzen Linie gescheitert ist. Sieht man sich diese Partei heute an, so erscheint der alte Anspruch nur noch ironisch. Es gibt in einer Gesellschaft, die von Klassengegensätzen bestimmt ist, keine Möglichkeit, Politik getrennt von Klasseninteressen zu betreiben. Diese einfache Wahrheit wird wieder offen sichtbar.

Eine Politik, die gegen Militarismus und Sozialabbau angehen will, muss sich auf die Arbeiterklasse basieren. Und zwar auf die Arbeiterklasse als die gesellschaftliche Kraft, deren Aufgabe die Überwindung des Kapitalismus und die Schaffung einer neuen, sozialistischen Gesellschaft ist. Der Schaden, den die Sozialdemokratie und der Stalinismus im Bewusstsein der Arbeiter angerichtet haben, muss überwunden werden. Daran arbeitet das World Socialist Web Site, das Organ unserer internationalen Bewegung.

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Anm.:

(1) Cecil Rhodes (1853-1902), britischer Politiker, Inbegriff des Kolonialismus, Besitzer südafrikanischer Diamantenminen und der nach ihm benannten südafrikanischen Kolonie Rhodesien

(2) Andrej S. Markovits und Philip S. Gorski: "Grün schlägt Rot. Die deutsche Linke nach 1945", 1997

Alle weiteren Zitate mit Seitenangabe stammen ebenfalls aus diesem Buch.

Siehe auch:
Wohin treibt die PDS?
(12. November 1999)
Die Krise der SPD
( 20. November 1999)
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