Im Iran hat sich, folgt man internationalen Presseberichten, die Lage "beruhigt", bzw. "normalisiert". Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und studentischen iranischen Gruppen sind am vergangenen Wochenende etwa 1.400 Menschen verhaftet und bis zu ein Dutzend von der Polizei getötet worden, viele sind "verschwunden". Studentenführern, wie Manoucher Mohammadi und Gholamreza Mohajeri Nejad droht nach Informationen der taz die Todesstrafe. Das Verbot der Zeitschrift Salam, ein Auslöser der Studentenproteste blieb bestehen, vereinzelte weitere Angriffe auf liberale Publikationen, Journalisten und Politiker kamen hinzu. Demonstrationen wurden verboten und haben bis jetzt offenbar auch nicht wieder stattgefunden.
Es wäre jedoch falsch zu glauben, der Kampf um Demokratie im Iran wäre damit bereits entschieden. Ganz im Gegenteil. Keines der grundlegenden Probleme, die zu den Massenprotesten der letzten Woche geführt haben, ist gelöst.
Das politische Gewicht von Armee, Polizei, paramilitärischen Schlägertrupps und ganz allgemein der "Konservativen" im iranischen Establishment ist gestärkt worden. Religiöse Milizen terrorisierten noch tagelang mit Unterstützung der Sicherheitskräfte die Bevölkerung, stürmten Versammlungen, schossen und prügelten. Anfang der Woche kritisierten Berichten zufolge die Kommandeure von 24 der extrem rechten sogenannten "Revolutionsgarden" in einem offenen Brief Staatspräsident Chatami für dessen angeblich zu liberale Haltung und fügten in drohendem Ton hinzu, man dürfe das islamische System um keinen Preis der Demokratie opfern.
Der "Reformer" Chatami hatte jedoch ebenfalls die brutale Unterdrückung der Massenproteste befürwortet. Er und seine Anhänger verkünden im Grunde genommen fast das gleiche wie die "Hardliner" um das geistliche Oberhaupt Chamenei: Die ursprünglich "völlig verständlichen und berechtigten Studentenproteste", ausgelöst durch die "bedauerlichen" Todesopfer beim Sturm von Polizei und Paramilitärs auf Studentenwohnheime, seien dann nach wenigen Tagen von "ganz anderen Kräften" ausgenutzt worden, die, "vom Ausland gesteuert", Geschäfte geplündert und Gewalttätigkeiten verübt hätten und den Staat umstürzen wollten. Deshalb sei die Niederschlagung der Proteste notwendig geworden und richtig gewesen. So oder ähnlich sollen sich nach einem Bericht der Neuen Züricher Zeitung eine ganze Anzahl von "reformorientierten" Publikationen und sogar Studentenorganisationen, die selbst an den Protesten beteiligt waren, geäußert haben. In Zukunft müsse man alles vermeiden, was zu Gewalttätigkeiten führen könne.
Auf der anderen Seite bekräftigten selbst konservative iranische Zeitungen, der "Kampf um Reformen und mehr Demokratie" würde weiterhin unterstützt werden. Die meisten Publikationen, Organisationen und Politiker der "Reformer" sollen ungeschoren geblieben, ein paar hundert verhaftete Studenten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt worden sein.
Während das Mullah-Regime im Innern jede Mobilisierung breiterer Bevölkerungsschichten für demokratische Rechte als "ausländische Unterwanderung" unterdrückt, verbessert es gleichzeitig das Verhältnis zum westlichen Imperialismus nach Kräften. Associated Press meldete, daß Chatami am vergangenen Sonntag, auf dem Höhepunkt des Terrors gegen die Studenten, den britischen Botschafter empfangen habe. Damit wurden zwanzig Jahre nach dem Sturz des Schah, den Großbritannien maßgeblich unterstützt hatte, wieder offiziell diplomatische Beziehungen aufgenommen. Dies buchstäblich zur gleichen Zeit, während Großbritannien sich an der Bombardierung des Nachbarlandes Irak beteiligte. Schon seit längerem versucht der Iran vorsichtig, aber zielstrebig, wieder an die Politik des Schah-Regimes der "Insel in einer stürmischen See" anzuknüpfen. Die Beziehungen insbesondere zu Saudi-Arabien haben sich verbessert, und die vom Iran beeinflußten libanesischen Hisbollah wie die palästinensische Hamas haben sich im Rahmen des sogenannten "Friedensprozesses" um eine staatstragendere Rolle bemüht.
Hintergrund dieser Außenpolitik ebenso wie der "Reformen" in der Innenpolitik bildet die Notwendigkeit für die iranische Bourgeoisie, engere Bindungen mit dem internationalen Kapital einzugehen und diesem die nationale Wirtschaft zu öffnen. Nach dem Sturz des Schah-Regimes waren bedeutende Teile der Wirtschaft nationalisiert und unter Planung und Kontrolle des Staates, d.h. im Rahmen der "islamischen Republik" die der Mullahs, gebracht worden. Dies hat die Grundlage für fette Pfründe und Privilegien vieler Geistlicher und ihrer Anhänger unter den Basarhändlern, Intellektuellen und religiösen Milizen geschaffen. Es bot aber auch der iranischen Arbeiterklasse einen gewissen Schutz vor dem ungehemmten Wirken des kapitalistischen Weltmarkts und begrenzte soziale Zugeständnisse. Der Iran verlor damit jedoch auch den Anschluß an die Globalisierung und versank immer tiefer in Verschuldung, Inflation und Korruption. Dem wollen Teile des Klerus und der Intelligenz begegnen. Sie treten dafür ein, die Gesellschaft zu "modernisieren", die Wirtschaft, insbesondere die Ölindustrie, "konkurrenzfähig" zu machen, sie zu privatisieren, dem internationalen Kapital zu öffnen und enger mit dem Westen zusammenzuarbeiten.
Die Süddeutsche Zeitung(21. Juli ) wies wohlwollend auf die im Kern durchaus konservative Haltung dieser Schichten hin: "Der Chefredakteur von Salam, deren Verbot die Studenten auf die Straßen trieb, führte 1979 die Besetzung der amerikanischen Botschaft an. Wenn Abbas Abdi inzwischen das System kritisiert, heißt das nicht, daß er die Islamische Republik abschaffen will: Er will sie reformieren, weil sie immer noch nicht dem Ideal entspricht, für das er vor zwanzig Jahren auf die Barrikaden gegangen ist - aber auch, weil seine Ideale ein wenig versöhnlicher geworden sind." Dazu ist es jedoch notwendig, den Einfluß religiöser Führer auf Wirtschaft und Gesellschaft zurückzudrängen.
Die taz vom 19. Juli schrieb dazu: "Millionen Barrel Öl liegen unter der Erde. Daß daraus kein Profit gemacht wird, ist nicht nur Schuld des Ölpreises, sondern auch der Mißwirtschaft unter dem Titel islamisch‘... Viele der protestierenden Studenten entstammen dem religiösen Milieu. Schon deshalb stellen sie den islamischen Charakter Irans nicht in Frage, wohl aber das Prinzip des ,welajat-e faqih', der Statthalterschaft der Rechtsgelehrten und damit die Grundlage der von Chomeini eingeführten Theokratenherrschaft."
Diese Art von kapitalistischer "Demokratisierung" und "Säkularisierung" des Iran, für die auch der Imperialismus eintritt, wird die soziale Situation der einfachen Bevölkerungsmehrheit nur noch verschlimmern. Deshalb stehen die "Reformer" und "Demokraten" jeder ernsthaften Bedrohung des Staates, der Polizei, Armee, Geheimdiensten, religiösen Milizen und der islamischen Geistlichkeit von unten feindlich gegenüber.
Die Neue Züricher Zeitung notierte am 19. Juli befriedigt: "Eine halbe Woche nach dem Abbruch der einwöchigen Kundgebungen und Zusammenstösse in Teheran und iranischen Provinzstädten haben zwar die Sicherheitskräfte und Basij-Milizen den Auftrag zur Beruhigung der Strasse sichtbar wahrgenommen. Doch herrschte keineswegs ein Eindruck von Grabesruhe: Die Reformerpresse erschien weiter, und die Studentenverbände verlangten Zusammentreffen mit höchsten Regimevertretern, um ihre Forderungen nach Schutz der Bürgerfreiheiten zu verfechten. Am Sonntag reduzierten die Revolutionswächter ihre Präsenz in der Hauptstadt, und die Basij beschränkten sich auf wichtige Kreuzungen. Es wird das Bild vermittelt, als hätten die beiden Strömungen einen Schock durch das rasche Ausarten der Strassenproteste erlebt und die Gefahr der Destabilisierung des ganzen Staates erkannt. Nun überdenken Erneuerer und Revolutionsnostalgiker [konservative islamistische Hardliner‘] wieder die unbequeme Koexistenz, zu der sie offenbar noch für längere Zeit verurteilt sind."