Zoran Djindjic ist zum Liebling deutscher Medien und Politiker geworden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgend ein Blatt oder Sender ein Interview mit ihm veröffentlicht. Kanzler Schröder hat ihn schon zweimal in Bonn empfangen. Er wird behandelt wie ein Staatsmann, und in der Tat, man sähe lieber heute als morgen, daß er Milosevic an der Spitze des jugoslawischen Staats ablöst.
Die jugoslawische Bevölkerung ist bisher dazu nicht befragt worden. Wozu auch? Schließlich bestimmen Washington, London, Paris und Berlin, wer "Demokrat" ist und wer nicht, wer zur "Weltgemeinschaft" gehört und wer außerhalb steht. Zoran Djindjic hat das begriffen. Schon im Dezember 1996 verkündete er in einem Spiegel -Interview vollmundig: "Das Pferd, auf das der Westen setzen sollte, bin ich."
Wer also ist der Mann, der der boykott- und kriegsgeschundenen jugoslawischen Bevölkerung als Pfand einer besseren Zukunft angepriesen wird?
Ein Portrait zu skizzieren fällt nicht leicht, zeichnet sich Djindjic doch durch jene Eigenschaft - oder besser: jenen völligen Mangel an Eigenschaften - aus, die seit den Erfolgen von Clinton, Blair, Schröder und Fischer als Markenzeichen des "modernen" Politikers gilt: das Fehlen jedes klar festgelegten Standpunkts.
Blättert man alte Artikel über Djindjic durch, erfährt man viel über sein "fast akzentfreies, gewähltes Deutsch", seine "glatten, ausnehmend guten Umgangsformen", sein "puristisch schwarz eingerichtetes Belgrader Büro" und seinen Hang, sich "vorzugsweise schwarz" zu kleiden, wenig oder nichts dagegen über seine politischen Ansichten.
Als sich vor zehn Jahren die stalinistischen Kader Osteuropas scharenweise zu überzeugten Marktwirtschaftlern wandelten, prägte der Volksmund dafür den Begriff "Wendehals". Auf Djindjic läßt er sich nicht anwenden, setzt er doch voraus, daß man sich von einem Standpunkt zu einem anderen bewegt. Djindjic dagegen hat überhaupt keinen Standpunkt. Er verfügt über eine Beweglichkeit und Wendigkeit, um nicht zu sagen Schlüpfrigkeit, die den Kommentatoren immer wieder das Adjektiv "schillernd" entlockt.
Djindjic und sein zeitweiliger Verbündeter Vuk Draskovic, schrieb etwa Die Zeit im Juni dieses Jahres, "haben im Laufe ihrer Karriere immer behauptet, was gerade am vielversprechendsten war... Die beiden werden sich auch in Zukunft von nichts anderem leiten lassen als von ihrem Willen zur Macht." Und der Tages-Anzeiger warf ihm schon vor drei Jahren vor, es gehe ihm "weniger um Menschenrechte und Demokratie als um die eigene Macht."
Zoran Djindjic wurde 1952 im Norden Bosniens als Sohn eines Offiziers der jugoslawischen Armee geboren. Nach Abschluß der Schule studierte er in Belgrad Philosophie, wo er 1974 wegen der Gründung einer oppositionellen Studentengruppe verhaftet und zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Nach Verbüßung seiner Haft setzte er sein Studium bei Jürgen Habermas an der Universität Frankfurt am Main fort, die noch ganz im Zeichen der ausklingenden Studentenbewegung stand. Gerüchten zufolge soll er sich damals für Habermas‘ kritische Theorie begeistert haben und von der Baader-Meinhof-Gruppe fasziniert gewesen sein. Er schloß sein Studium an der Universität Konstanz ab, wo er über das Thema "Marx‘ kritische Gesellschaftstheorie und Begründungsproblematik" promovierte.
1979 kehrte er nach Jugoslawien zurück und lehrte als Dozent an den Universitäten von Novi Sad und Belgrad. Offensichtlich hatte er sich mit den staatlichen Behörden versöhnt.
Der eigentliche Beginn seiner politischen Karriere fällt ins Jahr 1990. Er gründete mit Freunden die Demokratische Partei, für die er im selben Jahr ins Parlament einzog und deren Vorsitz er 1994 übernahm. Von ursprünglich demokratischen Forderungen glitt er schnell auf nationalistische Parolen ab. "Ich bin heute kein Politiker der Grundsätze mehr. Ich versuche eine realistische Politik zu machen, und ich kenne den Preis dafür," erläuterte er dies im Januar 1997 der Welt. "Ich weiß, daß man in Serbien keine mehrheitsfähige Politik machen kann, ohne die nationalen Ängste der Menschen zu berücksichtigen. Wenn das Nationalismus ist, dann bin ich eben Nationalist."
Während des Bosnien-Krieges hatte er in der Tat eifrig das Geschäft mit den "nationalen Ängsten der Menschen" betrieben. Seine Demokratische Partei trat für die Spaltung Bosniens und den Anschluß der serbisch besiedelten Gebiete an Jugoslawien ein. Als sich Slobodan Milosevic 1994 dem Druck der Nato beugte, reiste Djindjic demonstrativ nach Pale und solidarisierte sich mit dem serbischen Nationalisten Radovan Karadzic. Auch hinsichtlich des Kosovo, dessen Autonomie sie ursprünglich unterstützt hatte, spielte die Demokratische Partei in dieser Zeit die nationalistische Karte aus: Sie verlangte Maßnahmen zur Begrenzung der Geburtenrate der Kosovo-Albaner.
Seinen bisher größten politischen Erfolg erlebte Djindjic in den Jahren 1996-97. Es gelang ihm, drei Parteien - die Serbische Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovic, das Bürgerforum von Vesna Pesic und seine eigene Demokratische Partei - gegen die jugoslawischen Machthaber zusammenzuschließen. Das Bündnis Zajedno (Gemeinsam) gewann Ende 1996 die Kommunalwahl in Belgrad. Als die Regierung das Wahlergebnis mit juristischen Tricks annullierte, zogen wochenlang täglich Zehntausende in friedlichen Demonstrationen durch die Hauptstadt. Djindjic übte sich als Volkstribun. Im Februar 1997 zog er schließlich als Oberbürgermeisters ins Belgrader Rathaus ein.
Doch Zajednos Erfolg war auch dessen Ende. Es stellte sich heraus, daß das Bündnis außer der gemeinsamen Opposition gegen Milosevic keine tragfähige Grundlage hatte, geschweige denn eine Antwort auf die brennenden sozialen und politischen Probleme, mit denen die Masse der Bevölkerung konfrontiert war. Draskovic, ein serbischer Nationalist und Monarchist, stützte sich auf die Tradition der Tschetniks, die während des Zweiten Weltkriegs gegen die Partisanen Titos gekämpft hatten. Pesic, Gründungsmitglied des Belgrader Helsinki-Komitees, berief sich auf die Bürgerrechtsbewegung. Und Djindjic stand für die ökonomische und politische Öffnung zum Westen.
Im Juni, nur vier Monate nach Djindjics Triumph, brach das ungleiche Bündnis auseinander. Im September wurde Djindjic von seinem vormaligen Verbündeten Draskovic wegen "Unfähigkeit" aus dem Amt gejagt. Draskovic, der sich später als jugoslawischer Vizepräsident der Regierung Milosevic anschließen sollte, hatte sich zu diesem Zweck mit den Regierungsparteien und den Ultranationalisten Vojislav Seseljs zusammengetan. Diesmal ging niemand auf die Straße, um zu demonstrieren. Djindjic hatte in seiner kurzen Amtszeit auch seine Popularität verspielt.
Seit dem Debakel von Zajedno setzt Djindjic alles darauf, als Mann des Westens Karriere zu machen. Er war zwar klug genug, die Bombardierung Jugoslawiens durch die Nato nicht offen zu unterstützen - das hätte ihn in den Augen der betroffenen Bevölkerung zu sehr diskreditiert. Er kritisierte sogar, die Nato betreibe eine kurzsichtige und gefährliche Politik ohne weitreichende Strategie. Gleichzeitig ließ er nicht die geringsten Zweifel aufkommen, daß er der Nato als Ersatz für Milosevic zur Verfügung steht und mit deren politischer Unterstützung rechnet.
Am 9. Mai veröffentlichte er gemeinsam mit dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic eine Erklärung, in der er die Nato aufforderte, sie dürfe sich auf keine Vereinbarung zur Beilegung der Kosovo-Krise einlassen, die Milosevic den Erhalt seiner Macht gestatte - eine kaum verhüllte Aufforderung zur Verlängerung des Krieges. Auch Vuk Draskovic, der inzwischen von seinen Regierungsämtern zurückgetreten war, sei kein möglicher Partner des Westens, sondern ein Instrument Milosevics.
Kein Wunder also, daß Djindjic bei den westlichen Regierungen populär ist und als "Demokrat" gefeiert wird. Eines ist er bisher allerdings schuldig geblieben: den Beweis, daß das auch von der jugoslawischen Bevölkerung so gesehen wird.
Von einer Antwort auf die sozialen Probleme des Landes, die mit dem Krieg das Ausmaß einer Katastrophe angenommen haben, war in seinen zahlreichen Interviews jedenfalls bisher keine Spur zu finden. Djindjic ist schließlich Demokrat und nicht Sozialist. Und unter Demokratie versteht er - ähnlich wie die russischen und andere osteuropäische Demokraten - unbeschränkte Bewegungsfreiheit für das internationale Kapital und jene Geschäftsleute, Neureichen und Halbkriminellen, die im Schatten des Milosevic-Regimes reich geworden sind und nun die überkommenen Staats- und Herrschaftsstrukturen als Hindernis empfinden.