Rechtsruck in den russischen Wahlen

Premierminister Wladimir Putin und der Kreml - d.h. Präsident Boris Jelzin und sein Anhang - gelten als Hauptgewinner der russischen Dumawahl vom vergangenen Sonntag.

Das Wahlbündnis "Einheit", das erst vor zwei Monaten von der Kremladministration ins Leben gerufen worden war, lag nach Auszählung von über 80 Prozent der abgegebenen Stimmen Kopf an Kopf mit der Kommunistischen Partei, die bisher die Duma dominiert hatte. Die neue Formation erzielte einen Stimmeanteil von knapp 24 Prozent. Sie war im Wahlkampf von Premier Putin unterstützt worden, der offiziell keiner Partei angehört und nicht kandidierte. Weitere neun Prozent der Stimmen entfielen auf die "Union rechter Kräfte", die im Wahlkampf ebenfalls für Putin eintrat.

Die Kommunistische Partei konnte gegenüber der Wahl vor vier Jahren noch einmal zwei Prozentpunkte zulegen. Ihr Einfluss ist aber erheblich geschrumpft, da ihre bisherigen Verbündeten alle an der Fünfprozenthürde gescheitert sind.

Die Orientierung des regierungsfreundlichen Lagers, das in Zukunft in der Duma den Ton angeben wird, lässt sich am besten als Mischung aus Law-and-order und liberaler Wirtschaftspolitik beschreiben.

"Einheit" hat überhaupt kein erkennbares Programm. An seiner Spitze stehen drei populäre, aber politisch völlig unbeschriebene Figuren: Der Katastrophenschutz-Minister Sergej Schojgu, der schwergewichtige Olympia-Ringer Alexander Karelin, und der als Mafia-Jäger bekannte Polizeigeneral Alexander Gurow. Das Bündnis verdankt seine Popularität ausschließlich der Unerbittlichkeit, mit der Premier Putin den Krieg gegen Tschetschenien führt.

Die "Union rechter Kräfte" wird von der Garde sogenannter "junger Reformer" getragen, die für eine beschleunigte Einführung der Marktwirtschaft eintreten und deshalb nach dem Finanzkrach vom August 1988 hatten abtreten müssen: Ex-Premier Sergej Kirijenko, seinem damaligen Vize Boris Nemzow und den schon länger bekannten Exponenten eines liberalen Wirtschaftskurses Jegor Gaidar und Anatolij Tschubajs.

Was die beiden Gruppen vereint, ist die Protektion des Kremls, der vor keinem Mittel zurückschreckt, um die Macht und die Privilegien des Jelzin-Clans und seiner finanziellen Hintermänner auch über die Präsidentenwahl vom Juni 2000 hinaus zu sichern.

Vor allem Putins wichtigste Rivalen im Kampf um das Präsidentenamt, der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow und Ex-Premier Jewgenij Primakow, sind Opfer einer beispiellosen Schmutzkampagne geworden, die vom staatlichen Fernsehsender ORT in den hintersten Winkel des Landes getragen wurde. Ihre Gruppierung "Vaterland - Ganz Russland", die im Sommer noch als klare Favoritin gehandelt worden war, erreichte nur zwölf Prozent der Stimmen. Einzig in Moskau, wo Luschkow über eigene, ihm ergebene Medien verfügt, konnte er sich behaupten. Bei der gleichzeitig stattfindenden Bürgermeisterwahl kam er auf mehr als 70 Prozent. Sein erfolgreichster Rivale, Sergej Kirijenko, landete weit abgeschlagen bei elf Prozent.

Nach der Dumawahl gilt Premier Putin als aussichtsreichster Bewerber um das Präsidentenamt. Mit dem erst 44jährigen Sergej Schojgu ist ihm allerdings ein potentieller Rivale erwachsen, den der Kreml an seine Stelle setzen kann, sollte er sich zu weit von seinen Interessen entfernen.

In vielen westlichen Kommentaren ist das Ergebnis der Dumawahl als "Stärkung der politischen Mitte" gewertet und begrüßt worden. Erstmals, heißt es, seien eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Dumamehrheit und Regierung und damit stabilere politische Verhältnisse möglich. Eine solche Einschätzung lässt sich durch das Wahlergebnis allerdings kaum rechtfertigen.

Zum einen ist der Einfluss des Kreml-Blocks in der Duma weit geringer, als dies im Wahlergebnis zum Ausdruck kommt. Nur die Hälfte der Dumasitze wird entsprechend dem jeweiligen Stimmenanteil an die Parteien vergeben. Die andere Hälfte geht an Einzelkandidaten, die in den Wahlkreisen gewählt werden. Unter ihnen befinden sich viele "Unabhängige", die sich kaum in ein bestimmtes politisches Lager einordnen lassen. Es ist außerdem üblich, dass Abgeordnete häufig die Fraktion wechseln oder ihre Stimme von Fall zu Fall an den Meistbietenden verkaufen.

Nach ersten Berechnungen der Wahlkommission werden das Bündnis "Einheit" und die "Union rechter Kräfte" zusammen nur 105 der 450 Abgeordneten stellen. 111 Sitze gehen an die Kommunistische Partei, 62 an "Vaterland - Ganz Russland", 22 an die pro-westliche Jabloko-Partei und 17 an den Block des Rechtsaußen Wladimir Schirinowskij. Auf unabhängige Kandidaten und Einzelkandidaten von Parteien, die an der 5-Prozent-Klausel gescheitert sind, entfallen 133 Sitze.

Zum andern ist das Wahlergebnis fast ausschließlich eine Folge des Tschetschenien-Faktors. Der Krieg hat eine Welle des Nationalismus hochgekocht und die sozialen Probleme, die das Leben der russischen Bevölkerung beherrschen, vorübergehend in den Hintergrund gedrängt. Da alle Parteien den Krieg unterstützten, musste sich das zwangsläufig zugunsten des obersten Kriegsherrn - Wladimir Putin - auswirken.

Unter diesen Umständen konnten der Kreml und seine Gefolgschaft von Medienmogulen und Finanzhaien noch einmal erfolgreich alle Register der Intrige und Manipulation ziehen. Das Interesse der Bevölkerung hielt sich dabei allerdings in Grenzen. Nur 60 Prozent der Wahlberechtigten gingen überhaupt zu den Urnen - noch weniger als vor vier Jahren.

Der Tschetschenien-Faktor wird nicht lange anhalten. Beendet die russische Armee den Krieg erfolgreich, wird sich die "harte Hand" Putins immer offener gegen die Bevölkerung Russlands selbst richten und zu einer schnellen Ernüchterung führen. Endet der Krieg in einem Debakel, ist eine politische Krise unvermeidlich. Hinter der brüchigen demokratischen Fassade der Duma-Wahl sind die völlig verfaulten und instabilen politischen Verhältnisse zu sehen, die sich in Russland in den acht Jahren seit der Auflösung der Sowjetunion herausgebildet haben.

Siehe auch:
Russland vor der Dumawahl
(17. Dezember 1999)
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