Stützen der neuen Regierung

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ludger Volmer

Gemeinsam mit dem neuen Außenminister Joschka Fischer (Die Grünen) sind zwei Parlamentarier im Range des Staatsministers ins Auswärtige Amt eingezogen: sein Parteikollege Ludger Volmer sowie Günter Verheugen für die SPD. Letzterer ist als ehemaliger FDP-Generalsekretär und jahrelanger außenpolitischer Sprecher der SPD auf diesem Gebiet ein erfahrener Profi. Volmer hat sich bislang vor allem durch seine Fähigkeit ausgezeichnet, jeden Rechtsschwenk der Grünen in der Außenpolitik mit linken Worten belegen zu können.

Der am 17. Februar 1952 in Gelsenkirchen geborene Volmer wurde schon in jungen Jahren in selbstorganisierten Bürgerinitiativen und Projekten aktiv. Aufgewachsen im Hause des langjährigen CDU-Bundestagsabgeordneten Diplom-Ingenieur Günter Volmer, engagierte er sich zunächst in der katholischen Jugend. Offensichtlich weckte die Kirche sein Interesse an den Armen der Welt, insbesondere im katholischen Lateinamerika. Volmer gehörte während seiner Studienzeit dem ASTA der Universität Bochum an und war Mitbegründer sogenannter "undogmatischer linker Basisgruppen".

Als Gründungsmitglied der Grünen avancierte er schnell zum Experten für "Internationale Politik". Von 1983 bis zu ihrem Auszug aus dem Bundestag 1990 arbeitete er für seine Partei regelmäßig in den Ausschüssen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Auswärtiges, nebenbei auch im Finanzausschuß. In den Jahren von 1991 bis 1994 war er Bundessprecher seiner Partei. Seit 1994 - mit dem Wiedereinzug der Grünen in den Bundestag - war er dann wieder Mitglied der grünen Bundestagsfraktion.

In seinem kürzlich erschienenen Buch "Die Grünen und die Außenpolitik - ein schwieriges Verhältnis" (Münster, 1998) schildert er auf nahezu 600 Seiten die fast 20jährige Diskussion innerhalb der Grünen über eben jene Politik. Darüber hinaus vermittelt das Buch einen Eindruck über die politischen Konzeptionen seines Autors. Das Buch wurde im August dieses Jahres als Doktorarbeit von der Universität Bochum mit "Summa cum laude" bewertet. Er habe, so die Prüfungskommission, mitunter "humorvoll" ein Stück Geschichte aufgearbeitet.

Dr. Volmer schildert, wie sich seit Beginn der 80er Jahre in der Diskussion über die Außenpolitik innerhalb der Grünen drei Standpunkte herausschälten: Die "Fundis" genannten "radikalen Pazifisten", allen voran Jutta Ditfurth, Manfred Zieran und Jan Kuhnert in Hessen, die die Bundeswehr und jeglichen Militäreinsatz ablehnten; die Anfang der 80er Jahre in die Grünen eingetretene Frankfurter "Sponti-Szene" um Joschka Fischer, die um der Regierungs- und Machtbeteiligung willen bereit waren, alle pazifistischen Grundsätze über Bord zu werfen, "Realos" genannt; und zu guter letzt die "politischen Pazifisten" um Ludger Volmer, die zwischen diesen beiden Lagern standen und deshalb gelegentlich "Zentralos" genannt wurden.

Volmers Flügel war allerdings weniger eine eigenständige Strömung, als daß er die Aufgabe übernahm, die beiden anderen Flügel zu versöhnen. Ihm gelang es, das bei den Grünen anfangs weitverbreitete Mißtrauen gegenüber dem Staat, das sich in außenpolitischen Fragen in Vorstellungen von Pazifismus und Gewaltfreiheit und in vagem Anti-Imperialismus äußerte, aufzufangen und dem "realpolitischen" Flügel unterzuordnen.

Volmer weist in seinem Buch den marxistischen Standpunkt, daß der Staat Klasseninteressen diene, ausdrücklich von sich und bezeichnet ihn "als Struktur, innerhalb derer man agieren, ,den Tiger reiten‘ müsse." (ebenda, S.148) Er überträgt diese Definition auch auf internationale Organisationen wie die UNO, die Weltbank, den IWF usw. Auch sie seien von Klasseninteressen unabhängige "Strukturen", "innerhalb derer man agieren [...] müsse".

In der Praxis zeichnen sich die Grünen allerdings weniger dadurch aus, "den Tiger zu reiten", als ohnmächtig vor ihm niederzusinken. Um ihre Regierungsfähigkeit gegenüber den Herrschenden unter Beweis zu stellen, haben sie alle ursprünglichen Programmpunkte - Abschaffung der Bundeswehr, Austritt aus der NATO, usw. - nach und nach über Bord geworfen. Volmers Buch gibt ein beredtes Zeugnis von seiner eigenen Rolle während dieses Prozesses.

Bereits im Juni 1988 gründete sich auf seine Initiative während eines Perspektivkongresses der Grünen in Bonn das "Linke Forum". Volmer verfolgte damit die Absicht, "von links her die Partei zu integrieren".

Als die Grünen bei der Bundestagswahl im Dezember 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, entbrannte ein heftiger Streit zwischen "Realos" und "Fundis" über die zukünftige Ausrichtung der Partei. Volmer setzte alles daran, eine Spaltung zu vermeiden. Auf dem Parteitag in Neumünster im April 1991 gelang es ihm durch geschicktes Taktieren, die Grünen zu konsolidieren. "Das Kalkül ging von der Einschätzung aus, daß 80 Prozent aller Positionen in der Partei Konsens seien und nur je 10 Prozent unvereinbare Extrempositionen der Flügel. Diese 80 Prozent galt es über die bisherigen Flügel hinweg zu einer politischen Gravitationskraft zu verbünden... Diese Strategie lief nicht auf Spaltung in der Mitte hinaus, sondern darauf, das Gros der Partei zu erhalten und die Extrempositionen abzusplittern."

Am Ende stimmten 80 Prozent der Delegierten einem von Volmer verfaßten und mit dem "Realo" Fritz Kuhn ausgehandelten Grundsatzpapier zu. "Die Grünen verständigten sich auf die Grundformel, programmatische Radikalität mit der Bereitschaft zum Pragmatismus bei der Durchsetzung zu verbinden." (S. 423f)

Wie dies in den folgenden Jahren in der Praxis aussah, soll am Beispiel der Bundeswehreinsätze im ehemaligen Jugoslawien aufgezeigt werden. Den Bundeswehreinsatz in Somalia 1993 hatten die Grünen noch "wegen der prinzipiellen Ablehnung von Out-of-area-Einsätzen - auch auf der Basis von UNO-Resolutionen - kritisiert" und abgelehnt. Zur gleichen Zeit wurde aber schon zur Lage in Bosnien vom Länderrat (dem Parteivorstand gleichkommend) eine Resolution angenommen, die "zum Schutz der vom Völkermord bedrohten Bevölkerung militärische Gewaltanwendung der V[ereinten]N[ationen] forderte". Dies löste heftige Kontroversen in der Partei aus.

Die Auseinandersetzung dauerte mehrere Monate an. Im Oktober 1993 erhielt schließlich auf einer Sonderkonferenz der Grünen ein von Volmer formulierter Antrag die Mehrheit. Hier wurde erstmals der Einsatz von UNO-Blauhelmtruppen gebilligt. Volmer gewann die Unterstützung seiner Partei, indem er zwischen "friedenserhaltend" (peacekeeping) und "friedensschaffend" unterschied. Um die kritischen Stimmen innerhalb der Partei einzubinden, wurde sein Antrag "über Änderungsanträge im radikalpazifistischen Sinne relativiert", d. h., es wurden zu nichts verpflichtende Formeln aufgenommen, wie etwa die für eine "konsequente Zivilisierung der Außenpolitik", für die "Fortentwicklung nichtmilitärischer Sanktionen" und auch noch für die Auflösung der Bundeswehr. (S. 503ff)

Während Volmer ständig betonte, daß eine Zustimmung zu friedenserhaltenden Einsätzen kein Schritt zum Militarismus sei, lief die Praxis genau darauf hinaus. Seine Zustimmung zu militärischen Einsätzen ging von Kongreß zu Kongreß immer weiter. Es begann damit, daß die Militärs nicht mehr Militärs, sondern "Peacekeeper" genannt wurden.

Als Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit nach der Eroberung Srebrenicas durch serbische Truppen im Sommer 1995 vehement einen Militäreinsatz forderten, bereitete Volmer die Grünen auf die Zustimmung vor. Er lehnte einen "friedenserzwingenden" Militäreinsatz zwar weiterhin ab, war sich aber - wie er schreibt - "der Tatsache bewußt, daß das von Serben eingeschlossene und beschossene Sarajewo dringend internationaler Hilfe benötigte". Seine neue Formel lautete jetzt " robuste Peace-Keeping-Einsätze". (S. 514)

Bereits Ende 1995 warb er für eine deutsche Beteiligung an solchen Einsätzen. Und als der Bundestag Ende 1996 über eine weitere Beteiligung der Bundeswehr am sogenannten SFOR-Einsatz der NATO auf dem Balkan beriet, trat er zwar noch dagegen auf, nur um ihr durch die Hintertür zuzustimmen. Der von ihm formulierte Antrag forderte die Bundesregierung auf, das "friedenserzwingende" Mandat der NATO durch eine "friedenserhaltende" Mission der UNO zu ersetzen. Dies sei in wenigen Monaten durchsetzbar. "In der Zwischenzeit dürfe allerdings kein Sicherheitsvakuum entstehen. Für diese Zeit könne deshalb ein Verbleiben der Bundeswehr im Konfliktgebiet toleriert werden. Das hieß im Klartext: als Regierungsbeteiligte hätte die Fraktion die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes mitbeschlossen". (S. 523f)

1996 war die Bundesregierung für einen Bundeswehreinsatz auf dem Balkan noch nicht auf die Stimmen der Grünen angewiesen, wohl aber nach der jüngsten Bundestagswahl. Noch vor ihrem Amtsantritt haben die Grünen dem Bundeswehreinsatz im Kosovo deshalb zugestimmt. Es war wieder Ludger Volmer vergönnt, diesen grünen Sündenfall zu deuten und zu rationalisieren. Im Spiegel(43/1998) erklärt er die Zustimmung zum Kosovo-Einsatz mit der "komplizierten Welt": "Aber wir können nicht, weil die Welt so kompliziert ist, sagen: Wir verzichten auf den Anspruch mitzuregieren. Wir sind da im Dilemma, das ist offensichtlich."

Volmers Lösungsvorschlag für den Balkan ist, daß die Europäische Union zu einer großen Balkan-Konferenz einladen müsse, auf der dann ein Interessenausgleich versucht werden könnte. Der Spiegel nennt dies "naiv".

Wie dem auch sei, Volmer ist in der Lage, seine Partei auf die offizielle Linie der Außenpolitik einzuschwören, die - wie sein Chef Fischer bei jeder Gelegenheit betont - nicht "grün", sondern "deutsch" ist. Von seinen diesbezüglichen Fähigkeiten konnten sich die herrschenden Kreise nicht nur anhand seiner jahrelangen Arbeit in den Bundestagsausschüssen überzeugen. Seit 1995 trafen zudem auf Einladung des Direktors des Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Dieter S. Lutz, "regelmäßig Außen- und Sicherheitspolitiker von SPD [darunter Egon Bahr] und Bündnis90/Die Grünen [darunter Ludger Volmer] mit Wissenschaftlern zusammen, um über Grundlinien einer reformorientierten Außenpolitik nach einem Machtwechsel in Bonn zu beraten". (S. 536)

Volmers Konzept des "politischen Pazifismus" konnte dort "die Fähigkeit und die Bereitschaft nachweisen, sich mit den Ansprüchen eines konventionell agierenden Koalitionspartners vermitteln zu können". (S. 589)

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