zur Ausstellung: Der Warhol Look, Glamour, Stil, Mode an der Art Gallery von Ontario, in Kanada
Die Art Gallery von Ontario zeigte vom 2. Februar bis 3. Mai 1998 eine Ausstellung der Werke des Malers Andy Warhol. Sie bietet Anlaß zu einer zumindest vorläufigen Bewertung dieser recht umstrittenen Persönlichkeit der amerikanischen Nachkriegskultur.
Die Ausstellung unter dem Titel „Der Warhol Look/ Glamour, Stil Mode" war eine umfassende Präsentation seines Werks, die vom Andy-Warhol-Museum in Pittsburgh zusammengestellt worden war. Sie zeigte Dokumente des Lebens und der Karriere des Künstlers, die von Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen beigesteuert worden waren. Darunter Gemälde, Fotografien, Filme, Plastiken, Tonbandaufnahmen und andere Medien. Die Retrospektive war nicht allein Andy Warhol gewidmet, sondern auch seinen Mitarbeitern.
Die Meinungen über Warhols Werk klaffen weit auseinander. Von den einen wurde er zum einflußreichsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhoben, von den anderen als reiner Scharlatan hingestellt. Leider könnte beides einen wahren Kern enthalten. Er hatte beträchtlichen Einfluß auf einige Künstlergenerationen, auf Modeströmungen und die kommerzielle Kunstproduktion seit den fünfziger Jahren. Unweigerlich drängt sich die Frage nach dem bleibenden Wert seines Werks auf.
Er wurde 1928 in Forest City in Pennsylvania als Andrew Warhola geboren. Warhol war der jüngste Sohn tschechischer Einwanderer. Sein Vater war Hilfsarbeiter im Kohlebergbau. Er wuchs unter den schwierigen Bedingungen der Weltwirtschaftskrise auf. Als Jugendlicher begeisterte er sich für die Glamourbilder der Hollywoodstars und ihren Lebenstil. Unter dem Einfluß seiner Mutter, die kunstgewerbliche Gegenstände verkaufte, begann er zu zeichnen und malen, dabei reproduzierte er die Bilder seiner Idole und der damaligen Mode. 1949 nach seinem Abschluß am Carnegie College of Technology in Pittsburgh zog er nach New York und begann eine erfolgreiche Karriere als Modezeichner und Buchillustrator.
Nachdem er sich mit eleganten, oft satirisch gefärbten Schaufensterdekorationen einen Namen gemacht hatte, wurde Warhol vor allem wegen seiner Illustrationen von Publikationen wie Amy Vanderbilts Benimmbuch Complete Book of Etiquette berühmt. Er beschäftigte sich mit so unterschiedlichen Unternehmungen wie dem Verlegen von Büchern, Gebrauchsgrafik und Modeillustrationen. Dabei wurde er mit den Hauptrichtungen der Alltagskultur vertraut. Durch Ausstellungen seiner Modezeichnungen, deren Höhepunkt die Teilnahme an einer Gruppenausstellung im Museum of Modern Art in New York war, wurde Warhol in der New Yorker Kunstszene bekannt.
Um den Aufstieg der Pop-Art in den sechziger Jahren zu verstehen, in deren Entwicklung Warhol eine herausragende Rolle spielte, muß man dieses Phänomen historisch einordnen.
Im Nachkriegsamerika hatte sich der abstrakte Expressionismus solcher Künstler wie Jackson Pollock, Willem de Kooning und Mark Rothko als vorherrschende Kunstrichtung durchgesetzt, zu der sich die meisten talentierten Künstler hingezogen fühlten. Das Zusammengehen des Abstrakten, das unter die Oberfläche des täglichen Lebens zu einer tieferen Wirklichkeit vordringen möchte, mit dem Expressionismus, dem es ganz unmittelbar um den Ausdruck von Gefühlsregungen geht, schien sich gleichsam natürlich zu ergeben. Aber gibt es in der Kunst des von Umwälzungen erschütterten 20. Jahrhunderts so etwas wie einen „natürlichen" Ablauf?
Die ernsthaften amerikanischen Künstler der Nachriegszeit befanden sich in einer schwierigen Lage. Politisch und intellektuell wurden sie zunehmend eingeengt. Das amerikanische Jahrhundert hatte begonnen und mit ihm der Kalte Krieg. Wie konnte man (wenn man nicht zu dem kleinen Kreis wirklicher Marxisten gehörte) bewußt gegen eine so offensichtlich erfolgreiche Gesellschaft sein? Die politischen und gesellschaftlichen Zustände zwangen oppositionelle Regungen regelrecht dazu, sich auf dem Gebiet des Unbewußten Ausdruck zu verschaffen. Die Psychoanalyse, die ein neues Reich an Einsichten zu bieten schien, und die Diskreditierung des Marxismus durch die Verbrechen des Stalinismus trugen zur Herausbildung der besonderen Kunstformen der vierziger und fünfziger Jahre bei.
Unabhängig von den Absichten der Künstler brachten die Schwierigkeiten der Nachkriegssituation schließlich eine Argumentation hervor, die Unzugänglichkeit in eine Tugend verwandelte. Vor allem Kritiker wie Clement Greenberg gaben diese Richtung vor. Ohne eigenes Verschulden war die Kunst abgeschnitten von dem ganzen Spektrum des gesellschaftlichen Lebens und nicht in der Lage, ihre eigentliche gesellschaftliche Rolle zu spielen. So wurde Kunst immer mehr zu einer Beschäftigung mit sich selbst. Engagement und Provokationen der Nachkiegsmalerei wurden gedämpft oder selbst zu einer Ware. Die US-Regierung benutzte in ihrem Konflikt mit der Sowjetbürokratie selbst die Werke der abstrakten Expressionisten als Beweis für die Überlegenheit der „Freien Welt". Weil sie ihre Ziele so pervertiert sahen, gaben einige der Künstler es auf, überhaupt noch zu malen; andere starben einen frühen Tod.
Dieses widersprüchliche und in gewisser Weise quälende Erbe bildete den Ausgangspunkt für die folgende Künstlergeneration. Ihre Anschauungen hatten sich im Gegensatz zu denen ihrer Vorgänger im Nachkriegsboom geformt, einer Zeit, in der die USA die vorherrschende wirtschaftliche, politische und - mit Einschränkungen - kulturelle Macht auf der Welt waren. Dadurch entstand ein blühender Markt für die schönen Künste.
Indem die, man könnte sagen, gedankenreicheren abstrakten Expressionisten mehr und mehr an den Rand gedrängt wurden, entstand eine Nachfrage nach einer leichteren, selbstzufriedeneren Ausdrucksform auf dem Kunstmarkt. Aus dieser Umgebung entstand die „Pop"-Kultur.
Ende der fünfziger Jahre, als die nicht gegenständliche Kunst der abstrakten Expressionisten im Verschwinden begriffen war, wurden Künstler wie Jasper Jones oder James Rosenquist beliebt mit ihren Gemälden von Dingen des alltäglichen Lebens wie die US-Flagge oder Plakattafeln mit Reklame. Dies waren die ersten Ausdrucksformen der Pop Art, die sich dann mischte mit der Art von abbildgetreuer Malerei, wie sie Andy Warhol in seinem eigenen Werk begonnen hatte.
Sogar innerhalb der „Pop"-Bewegung gab es Vertreter, die sich offen gegen die soziale Polarisierung in Amerika, gegen die Rolle der USA im Vietnamkrieg aussprachen und sich mit der Bürgerrechtsbewegung gegen die Unterdrückung der Schwarzen identifizierten. Im Gegensatz zu den Künstlern jedoch, die Abbilder der Alltagskultur benutzen, um sich kritisch oder halbwegs kritisch über die amerikanische Gesellschaft zu äußern, reflektierte Warhol diese Kultur nur passiv und schnitt seine Kunst auf den wachsenden Markt von Konsumenten zu. Er produzierte einige Fotoserien von Filmstars, politischen Persönlichkeiten und anderen Berühmtheiten, die er mit einfacher Siebdrucktechnik bearbeitete. Zusätzlich schuf er Werke mit Anspielungen auf Markenwaren und Werbung, wobei er Marken der Lebensmittelindustrie benutzte, wie seine berühmten Serien von Campbell´s Suppendosen. (In der Ausstellung war ein Exemplar davon zu sehen.)
Mitte der 60er Jahre war Warhol ein reicher Mann und zu einer Berühmtheit der amerikanischen Gegenkultur geworden. Sein glitzerndes Atelier, bekannt unter dem Namen Die Fabrik, wurde zum Mittelpunkt gesellschaftlicher und kreativer Aktivitäten der New Yorker Bohemiens und der Kulturelite. Er machte jetzt Experimentalfilme, oft langatmige, schwer zugängliche Werke, die jedoch seinen Ruf als Erneuerer weiter festigten. 1965 hörte er vollständig auf zu malen und begann erst 1972 wieder damit. In dieser Zeit arbeitete er zusammen mit Lou Reed und John Cale sowie deren Rockband The Velvet Underground. Zusammen mit ihnen brachte er die Multimediashow The Exploding Plastic Inevitable heraus, ein extravagantes Spektakel visueller und musikalischer Bacchanalien.
Ein großer Teil der Fotografien und Kunstwerke der Ausstellung in der Art Galery in Ontario stammte aus dieser Periode. Vieles davon stellt die Künstler, die zu Warhols Clique gehörten, in einer Art inzestuöser Verherrlichung dar. Es besteht kein Zweifel, daß eine ganze Reihe höchst talentierter und gut ausgebildeter Künstler in diesen Kreis hineingezogen wurden. Dazu gehören Fotografen wie Francesco Scavulla und Nat Finkelstein. Aber was auch immer ihre Intentionen waren, das Werk bewegt den Betrachter nicht und hinterläßt sogar einen nihilistischen Eindruck.
1969 begann Warhol mit der Herausgabe des Trendmagazins Interview, das ungekürzte und unredigierte Interviews von Berühmheiten mit Berühmtheiten abdruckte. Diese Veröffentlichung ist typisch für den elitären Charakter und Zynismus, den Warhols Werk annahm. Schließlich machte Warhol seine ganze Person zu einer kommerziellen Ikone und verkaufte sich als Modell, posierte in Schaufenstern und verkaufte sein Image zu Werbezwecken. In den letzten Jahren seines Lebens war er sehr damit beschäftigt, eine ganze Reihe von Renaissancebildern zu bearbeiten, er schuf eine Serie von Übermalungen (Camouflage- oder Tarnbildern), Selbstporträts und Werbeanzeigen. Warhol erlag im Februar 1989 einem Herzanfall.
Es ist möglich und bei einem großen Künstler allgemein der Fall, daß sein Werk über die begrenzten Anschauungen seines Schöpfers hinausweist. Aber dann muß es eine tiefere Wahrheit hervortreten lassen. Wenn man einen Künstler danach beurteilt, wie tief er die Zeit, in der er lebte und arbeitete, empfunden hat oder danach, wie er den wesentlichen geistigen und künstlerischen Herausforderungen begegnete, dann müßte man sagen: Warhols Kunst ist an der Oberfläche stehengeblieben. Trotz seiner ausgefeilten Technik und seines innovativen Designs läßt der oberflächliche Gehalt seiner Werke Zweifel an seiner Größe als Künstler aufkommen. Seine Kunst greift im wesentlichen Randerscheinungen einer Zeit großer sozialer und künstlerischer Umwälzungen in einer Weise auf, die mehr verdunkelt als erhellt.