Die Angriffe auf den Sudan und auf Afghanistan

Cruise Missiles sollen die Gegner Clintons zufriedenstellen

Bei Tagesanbruch am Freitag, den 21. August wurde das ganze Ausmaß der Zerstörung, das die US-Bomben am Vortag angerichtet hatten, sichtbar und allgemein bekannt. In Afghanistan waren zwanzig Menschen umgekommen. Unter den Trümmern der pharmazeutischen Fabrik in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum waren mehr als ein Dutzend Menschen verletzt worden.

Obwohl das Weiße Haus das Gegenteil behauptet, bestand der Zweck der Luftangriffe offenkundig nicht darin, eine nicht näher definierte terroristische Bedrohung von den Vereinigten Staaten abzuwenden, sondern die Clinton-Regierung vor der weitaus konkreteren Gefahr des politischen Zusammenbruchs zu bewahren. Die Botschaft dieser Aktion richtete sich weniger an Osama bin Laden - den neuesten Buhmann der US-Regierung - als an die einflußreiche rechte Fraktion der herrschenden Elite, die hinter dem Angriff auf Clinton steht.

Angesichts des Zeitpunkts der Bombenabwürfe konnte sich die Administration des allgemeinen Verdachts nicht erwehren, daß ihr Zweck darin bestand, von den jüngsten Enthüllungen im Clinton-Skandal abzulenken. Mit Sicherheit haben solche Überlegungen bei der terminlichen Festlegung der Angriffe eine Rolle gespielt. Aber die Entscheidung zum Einsatz der Marschflugkörper war von tiefer liegenden Erwägungen motiviert.

Ungeachtet ihrer befremdlichen und geschmacklosen Formen war die politische Krise in Washington im Grunde von Anfang an ein Kampf um die Richtung der künftigen Innen- und Außenpolitik der USA. Sinn und Zweck des pausenlosen Angriffs auf Clinton, als dessen Werkzeug der Sonderermittler dient, war stets eine scharfe Rechtswende der Regierungspolitik, sei es durch die Schwächung oder durch den Sturz der bestehenden Administration.

In der Innenpolitik bedeutet dies rasche und verschärfte Angriffe auf die gesellschaftliche Stellung der Arbeiterklasse. Alle Hemmnisse, die dem Wirken des kapitalistischen Marktes und der Anhäufung von Konzernprofiten und privatem Reichtum noch im Wege stehen, sollen beseitigt werden.

In der internationalen Politik bedeutet es einen verstärkten Einsatz militärischer Gewalt, um die Interessen des amerikanischen Imperialismus zu sichern.

Mit der Bombardierung Afghanistans und des Sudan hat Clinton ein deutliches Signal ausgesandt: er hat verstanden, daß er als Präsident nur dann überleben kann, wenn er die Politik seiner Gegner auf der äußersten Rechten übernimmt.

Dieses Signal ist in Washington verstanden worden. Senator Orrin Hatch, der Clinton noch am vorangegangenen Montag öffentlich einen "Hampelmann" genannt hatte, und das Wall Street Journal, das ihn am Dienstag krankhafter sozialer Neigungen beschuldigt hatte, begrüßten die Bombenabwürfe. Die Medien, die Clinton soeben in schönster Einstimmigkeit wegen der Lewinsky-Affäre zum Lügner erklärt hatten, nahmen ihm die plumpen und unbewiesenen Behauptungen zur Rechtfertigung der Militärschläge unbesehen ab.

Den einseitigen Angriffen auf den Sudan und Afghanistan war keinerlei Warnung vorausgegangen. Ihnen folgten eine Reihe schlichtweg unglaubwürdiger Rechtfertigungen der Regierung.

Erste Behauptung: Es gebe "überzeugenden Hinweise" darauf, daß der im Exil lebende saudische Staatsbürger Osama bin Laden für die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania am 7. August verantwortlich sei.

Selbst wenn man den Unterschied zwischen "überzeugenden Hinweisen" und tatsächlichen Beweisen, der bei Entscheidungen über Militärschläge eine gewisse Rolle spielen sollte, einmal außer Acht läßt, bleibt die Tatsache, daß der Öffentlichkeit bislang keine faktischen Hinweise präsentiert worden sind. Wenn die US-Regierung in den Trümmern der Botschaften in Afrika belastendes Beweismaterial gefunden hätte, dann hätte sie diese Informationen auch veröffentlicht. Aber in dem von der Regierung angegebenen Zeitraum - zwischen den Explosionen in den Botschaften und der Entscheidung zu den Vergeltungsangriffen - hätte noch gar kein solches Beweismaterial entdeckt, geschweige denn analysiert werden können.

Die Bombenanschläge ereigneten sich am Nachmittag des 7. August. Am 12. August war der Vergeltungsplan fertig. Am 14. August stimmte Clinton ihm zu. Aufgrund bisheriger Erfahrungen weiß man, daß es Wochen und Monate dauert, bis alle Beweismaterialien aus solchen Trümmern entdeckt und analysiert worden sind. Im vorliegenden Fall hatten die Ermittler gerade erst mit der Suche und mit der Befragung von Zeugen begonnen, als der Racheplan beschlossen wurde. Eine Analyse der Materialien aus den zerstörten Botschaftsgebäuden konnte noch gar nicht stattgefunden haben, geschweige denn, daß sie zwecks genauerer Untersuchungen schon in die USA gebracht worden wären.

Zweite Behauptung: Der Angriff der Marschflugkörper sei notwendig gewesen, um einen drohenden weiteren Terroranschlag wie jene vom 7. August zu verhindern.

Die Behauptung, daß die US-Schläge gegen Afghanistan und den Sudan amerikanische Staatsbürger vor bevorstehenden Terroranschlägen schützen sollten, steht in eklatantem Widerspruch zu den zahlreichen Warnungen des Außenministeriums, daß die Luftschläge vom 20. August US-Einrichtungen und -Staatsbürger auf der ganzen Welt der Gefahr möglicher Vergeltungsaktionen aussetzen. Außerdem dürfte es schwer zu erklären sein, wie ein bevorstehender Anschlag, zur Zeit der Bombenabwürfe in die Wege geleitet, durch die Vernichtung einer pharmazeutischen Fabrik und eines Lagers in der Wüste, Hunderte Meilen von jedem potentiellen Anschlagsziel entfernt, verhindert wurde. Schließlich gibt es weder in Afghanistan noch im Sudan amerikanische Staatsbürger, noch sind dort Botschaften in Betrieb. Und weshalb veröffentlicht man nun, da die Gefahr gebannt ist, nicht die Pläne und Ziele der Terroristen? Wer oder was wurde genau bedroht?

Eine weitere Frage stellt sich: Wenn der US-Geheimdienst - wie man annehmen muß, vermittels eines Netzes von Agenten und Verbindungsleuten im Umfeld von bin Laden, die seinen Aufenthaltsort und seine Tätigkeit überwachten - mit solcher Sicherheit feststellen konnte, daß ein Terroranschlag bevorstand, weshalb war er dann nicht in der Lage gewesen, die Autobomben vom 7. August frühzeitig zu erkennen und abzufangen? Wie soll man sich andernfalls die bemerkenswerte Verbesserung der Informationslage bei den US-Geheimdiensten innerhalb der letzten zwei Wochen erklären?

Vor dem Hintergrund der politischen Krise des Weißen Hauses bieten die Anschläge auf die Botschaften - wer immer sie verübt haben mag - die Gelegenheit und den Vorwand für eine deutliche Rechtswende der Clinton-Regierung. Clinton war unter anderem deshalb beständig unter Feuer genommen worden, weil er angeblich die militärische Stärke der USA zu zögerlich eingesetzt, d.h. zuviel Rücksicht auf die Verbündeten und die Vereinten Nationen genommen habe.

Während der Konfrontation mit dem Irak im vergangenen Februar hatte die Clinton-Regierung, die damals ohne die Unterstützung des UN-Sicherheitsrates keine Militäraktion unternehmen wollte, einem von UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgehandelten Kompromiß zugestimmt. Politisch rechtsstehende Kommentatoren und Führer der Republikanischen Partei hatten ihm damals vorgeworfen, es sei falsch, Entscheidungen über die Militärpolitik der USA von diesem internationalen Gremium abhängig zu machen.

Unmittelbar nach den jüngsten Bombenabwürfen hingegen betonte Außenministerin Madeleine Albright, daß die Clinton-Regierung unilateral gehandelt habe und dies wieder tun werde. Wenn es um die weltweiten Interessen des amerikanischen Großkapitals geht, wird Washington nun keine Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten oder internationale Beziehungen mehr nehmen. Die Regierung machte sich nicht einmal die Mühe, mitzuteilen, ob Pakistan die Überquerung seines Luftraums durch die Marschflugkörper genehmigt hatte.

Man muß nun mit häufigeren und schwereren Militärschlägen rechnen. Clinton hat unterstrichen, daß es sich nicht um einen Sonderfall handele. Die USA, verkündete er, führten nun "Krieg" gegen eine ebenso allgegenwärtige wie nebulöse "terroristische Gefahr", die sich auf der ganzen Welt ausbreite.

Albright und andere Regierungsvertreter griffen dieses Thema begierig auf. Sie sprachen von einem weltweiten, langwierigen Kampf gegen die Unterwelt, in dem die USA wiederholt ohne Warnung und ohne Rücksicht auf nationale Souveränität zuschlagen würden.

Wie schon so oft, versucht Clinton die Angriffe seiner rechten Gegner zu überstehen, indem er sich ihren politischen Forderungen beugt und ihr Programm übernimmt. Es wäre allerdings verfrüht, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß das Überleben der Clinton-Regierung nun gesichert sei. Für die Aufrichtigkeit seiner Bekehrung auf dem Sterbebett werden noch überzeugendere Beweise an der inneren und äußeren Front verlangt werden. Die Militärschläge vom 20. August sind nur die erste, keineswegs die letzte Rate an die reaktionären Kräfte des Finanzkapitals, die in letzter Analyse über die Politik der Vereinigten Staaten bestimmen.

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