Die russischen Präsidentschaftswahlen und die Aufgaben der Arbeiterklasse

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat am 17. März 2023 einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen erlassen [AP Photo/Gavriil Grigorov, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP]

Bei den russischen Präsidentschaftswahlen vom 14. bis 17. März wurde Wladimir Putin, der im Jahr 2000 zum ersten Mal Präsident wurde, wie erwartet für eine fünfte Amtszeit wiedergewählt.

Als weiterer Kandidat trat Wladislaw Dawankow von der Neuen Volkspartei an, der letztlich die Maßnahmen des Putin-Regimes unterstützt und sich von Putin nur insofern etwas unterscheidet, als er offener und lauter für einen Deal mit dem Imperialismus eintritt. Die anderen Kandidaten haben keine größeren Differenzen mit Putin geäußert. Nikolai Charitonow, der Kandidat der stalinistischen Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), war eine alte Lachnummer: In seinem Wahlkampf machte er von Anfang an deutlich, dass die KPRF, die seit einem Vierteljahrhundert eine kritische Stütze des Putin-Regimes ist, den Sieg Putins als ihren eigenen begrüßen wird. Leonid Sluzki, der Kandidat der halbfaschistischen Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR), war und ist ein verblassender Schatten des verstorbenen Wladimir Schirinowski, der selbst nur der oberste faschistische Hofnarr des Putin-Regimes war. Der Kandidat der von der Nato unterstützten Opposition, Boris Nadeschdin, war an der Kandidatur gehindert worden.

Die Wahlen wurden von dem eskalierenden Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland in der Ukraine überschattet. Vor weniger als einem Monat kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron an, dass die Nato über die direkte Entsendung von Truppen in die Ukraine diskutiere. Dieser Schritt wird für die Nato umso notwendiger, nachdem die Gegenoffensive der ukrainischen Armee im vergangenen Jahr katastrophal gescheitert ist und sie enorme Verluste erlitten hat, ohne Gewinne zu erzielen. Schätzungen zufolge sind in den ersten beiden Jahren dieses schrecklichen Bruderkriegs mehr als 400.000 Ukrainer ums Leben gekommen, und viele weitere wurden verwundet und verstümmelt. Die Zahl der Toten und Verwundeten auf russischer Seite dürfte inzwischen ebenfalls weit über 100.000 liegen.

In den Tagen vor und während der Wahl selbst verstärkte die Nato ihre Angriffe auf russisches Territorium, wobei mindestens fünf Menschen getötet und zig weitere verwundet wurden. Wegen der anhaltenden Angriffe mussten seit Dienstag Schulen und Einkaufszentren in der Grenzregion Belgorod geschlossen werden. Am Samstag begannen neonazistische Kräfte, die mit dem Kiewer Regime in der Ukraine und mit der Nato verbündet sind, einen Überfall auf russisches Territorium, wobei erstmals seit dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ein ausländisches Land Panzer auf russischem Boden einsetzte. Die New York Times, das wichtigste Sprachrohr der US-Geheimdienste und der Demokratischen Partei in den USA, verherrlichte diese Faschisten als „rebellische Russen“ und lobte sie überschwänglich für ihre „gewagten Angriffe“.

Die Reaktion auf das Wahlergebnis in den Nato-freundlichen Medien war ähnlich aggressiv. Die britische Financial Times machte deutlich, dass die imperialistischen Mächte die fortgesetzte Herrschaft Wladimir Putins nicht tolerieren und ihre Bemühungen um einen Regimewechsel verstärken werden. Sie bezeichnete „eine fünfte Amtszeit für Putin“ als „Bedrohung für Europa und die Welt“.

Verglichen mit der außerordentlich aggressiven Kampagne der Nato war Putins Reaktion auf die Drohungen und Übergriffe der von den Nato-Staaten unterstützten Streitkräfte ausgesprochen zurückhaltend. In seinem Interview mit dem US-amerikanischen Rechtsaußen Tucker Carlson Anfang Februar, das in Russland weite Verbreitung fand, konzentrierte sich Putin fast ausschließlich darauf, an die herrschenden Eliten der Nato-Länder im Sinne einer „friedlichen Koexistenz“ zu appellieren. In einer rekordverdächtig langen Rede vor der Föderationsversammlung am 29. Februar wiederholte Putin seine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen, ging aber nur kurz auf die Drohung der Nato ein, ihre Truppen direkt in die Ukraine zu verlegen. Er appellierte erneut an die imperialistischen Mächte, Verhandlungen aufzunehmen.

Weder die Drohungen der Nato noch die von Putin sollten als leere Worte verstanden werden. Der eskalierende und sich ausweitende imperialistische Krieg gegen Russland stellt eine existenzielle Bedrohung für die Arbeiter in der ehemaligen Sowjetunion und in der ganzen Welt dar. Nichts wäre gefährlicher, als die vom Imperialismus ausgehende Bedrohung zu unterschätzen oder darauf zu vertrauen, dass der eine oder andere Teil der herrschenden Oligarchie einer nuklearen Katastrophe zuvorkommt.

Das Putin-Regime: Ein bonapartistisches Regime der Oligarchie

Die Grundlage für das Verständnis der gegenwärtigen Situation der russischen Politik und des Krieges in der Ukraine liegt in den Schlüsselereignissen des letzten Jahrhunderts. Die Zerstörung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie - der Höhepunkt des Verrats des Stalinismus an den Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 - war das Ereignis, aus dem 15 nationale kapitalistische Staaten hervorgingen, darunter die Russische Föderation.

Die russische Oligarchie begleitete ihre Geburtswehen mit Slogans über ein blühendes demokratisches Russland und pazifistischen Illusionen über den Imperialismus. Gleichzeitig prangerte sie die, wie sie es nannte, „Wahnvorstellungen der Bolschewiki“ über das Wesen des Imperialismus an. Doch die katastrophalen Ergebnisse der kapitalistischen Restauration bestätigten alle Warnungen, die Leo Trotzki in seiner Verratenen Revolution (1936) und die trotzkistische Bewegung, das Internationale Komitee der Vierten Internationale während der Krise des Stalinismus 1986-1991 ausgesprochen hatten.

In den darauf folgenden 33 Jahren des russischen Kapitalismus erlebten die Massen nicht Wohlstand, Demokratie und Frieden, sondern weitere Unterdrückung, ein sprunghaftes Anwachsen der sozialen Ungleichheit und autoritäre Herrschaft. Vor allem aber markierte die Restauration des Kapitalismus den Beginn eines Ausbruchs imperialistischer Gewalt in der ganzen Welt. Sie öffnete die gesamte ehemalige Sowjetunion für einen wachsenden Angriff des Imperialismus, der vorläufig in dem nahezu offenen Krieg gegen Russland in der Ukraine gipfelt.

Unter diesen Bedingungen hat sich das Putin-Regime als ein bonapartistisches Regime entpuppt, das die Interessen der Oligarchie verteidigt. Wie Leo Trotzki in seiner Verratenen Revolution erklärt:

Der Bonapartismus betritt die Bühne der Geschichte immer dann, wenn der scharfe Kampf zweier Lager die Staatsmacht gleichsam über die Nation erhebt und sie scheinbar von den Klassen völlig unabhängig macht, ihr in Wirklichkeit aber nur die notwendige Freiheit gibt, um die Privilegien zu verteidigen. ... Der Bonapartismus ist ein politisches Werkzeug des kapitalistischen Regimes in seinen Krisenperioden.

Trotzki weiter:

Die Geschichte ist Zeuge, dass sich der Bonapartismus mit dem allgemeinen und selbst geheimen Wahlrecht ausgezeichnet verträgt. Das demokratische Ritual des Bonapartismus ist das Plebiszit. Von Zeit zu Zeit wird den Bürgern die Frage vorgelegt: „Für oder gegen den Führer?“ wobei der Abstimmende den Revolverlauf an der Schläfe spürt.

Leo Trotzki

Das Putin-Regime ist in seinen historischen Ursprüngen und in seiner gesellschaftlichen Funktion in erster Linie zur Verteidigung von Privilegien der Oligarchie entstanden und tätig. Die Restauration des Kapitalismus führte zu einer außerordentlichen Verarmung der breiten Masse der Bevölkerung, während eine winzige Clique von Oligarchen, die sich aus der ehemaligen Bürokratie, einschließlich Geheimdienste bzw. KGB, sowie aus aufstrebenden Unternehmern und regelrechten Kriminellen rekrutierte, ein sagenhaftes Vermögen anhäufte. Putin versucht ständig, an die soziale Unzufriedenheit zu appellieren und sich als Mann der Massen darzustellen, aber unter seinem Regime hat die soziale Ungleichheit in Wirklichkeit enorm zugenommen.

Als Putin im Jahr 2000 die Macht übernahm, gab es keinen einzigen russischen Milliardär auf der Forbes-Liste. Im Jahr 2023 waren es 83. Ein Jahr vor Beginn des Krieges in der Ukraine, im Jahr 2021, kontrollierten 500 Oligarchen mehr Vermögen - 640 Milliarden Dollar oder 40 Prozent des gesamten Haushaltsvermögens - als 99,8 Prozent der Bevölkerung. Für diese Gesellschaftsschicht spricht das Putin-Regime bei seinen ständigen und verzweifelten Versuchen, eine Verhandlungslösung mit den imperialistischen Mächten zu finden.

Vom Standpunkt der russischen Oligarchie aus gesehen besteht die soziale und politische Funktion Putins als bonapartistische Figur darin, dass er erstens zwischen der Arbeiterklasse und der Oligarchie, zweitens zwischen den verschiedenen Fraktionen der Oligarchie und drittens zwischen den nationalen und wirtschaftlichen Interessen der Oligarchie und den Interessen des westlichen Imperialismus vermittelt. Wie jedes bonapartistische Regime ist auch das Putin-Regime ein zutiefst instabiles Krisenregime. Es wird unweigerlich an denselben klassenmäßigen, politischen und internationalen Widersprüchen zerbrechen, die es verzweifelt zu schlichten versucht.

Die Sackgasse von Putins Appellen an den Imperialismus und die „Multipolarität“

Historisch und wirtschaftlich gesehen waren das Putin-Regime und die Oligarchie als Ganzes nie unabhängig vom Imperialismus. Bei der Zerstörung der Sowjetunion arbeiteten die ehemaligen stalinistischen Bürokraten Hand in Hand mit der herrschenden Klasse in den USA, Deutschland und mit anderen imperialistischen Mächten.

Und während die bürgerlichen Medien in den USA und Westeuropa Putin ständig als „Autokraten“ verunglimpfen, ist es in Wahrheit so, dass seine erste Amtseinführung als Präsident im Jahr 2000 hinter verschlossenen Türen zwischen Boris Jelzin und dem Weißen Haus unter Bill Clinton ausgehandelt wurde. Jelzin hatte den USA lange im Voraus mitgeteilt, dass Putin „die Wahl gewinnen wird“. In seiner ersten Amtszeit als Präsident bemühte sich Putin nach Kräften, die imperialistischen Mächte zur Zusammenarbeit aufzufordern, und strebte, wie er selbst einräumte, die Aufnahme Russlands in die Nato an. Aber keines der Angebote der Oligarchen war und konnte vom Standpunkt des Imperialismus aus ausreichend sein. Getrieben von unlösbaren internationalen Krisen streben die imperialistischen Mächte nach nichts Geringerem als der Unterwerfung der gesamten Region unter ihre vollständige und direkte Kontrolle.

Der russische Präsident Boris Jelzin und US-Präsident Bill Clinton in New York 1995 [Photo: White House Photographic Office]

In seinem jüngsten Interview mit Tucker Carlson räumt Putin de facto ein, dass seine gesamte Außenpolitik gegenüber dem Imperialismus in den letzten 25 Jahren ein kompletter Fehlschlag war. Gleichzeitig hat Putin diese Ausrichtung nur noch verstärkt und ständig wiederholt, dass er „nicht versteht“, warum sich der Westen so verhält, wie er es tut. Wie wir in unserer Stellungnahme zu dem Interview dargelegt haben, ist die Unfähigkeit des ehemaligen KGB-Offiziers Putins, das Wesen des Imperialismus zu „verstehen“, in den historischen Ursprüngen und der gesamten gesellschaftlichen Einstellung der Oligarchie begründet.

In ihren Bemühungen um eine Einigung mit den imperialistischen Mächten spiegelt die russische Oligarchie die reaktionäre Konzeption der „friedlichen Koexistenz“ der stalinistischen Bürokratie wider. Mit ihrem Verrat an den revolutionären und internationalistischen Grundlagen der Sowjetunion in der Oktoberrevolution hat die Bürokratie revolutionäre Bewegungen überall abgewürgt und versucht, eine Einigung mit den imperialistischen Mächten zu erzielen.

Der ehemalige Fox News-Moderator Tucker Carlson interviewt den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml in Moskau, 6. Februar 2024 [Photo by Gavriil Grigorov/Kremlin]

Die Förderung einer „multipolaren“ Weltordnung durch das Putin-Regime geht auf diese Tradition zurück. Da der Kreml nichts mehr fürchtet als das Entstehen einer revolutionären Bewegung der russischen und internationalen Arbeiterklasse, appelliert er an die nationalistischen Regime überall, ein Gegengewicht zu den imperialistischen Mächten zu bilden, nur um seine Position am Verhandlungstisch zu verbessern. Diese Perspektive ist nicht nur verloren und bankrott, sondern führt auch zu weiteren Kriegen. Wie David North auf der Internationalen Maikundgebung der WSWS und des IKVI im Jahr 2023 erklärte,

In jedem Fall erfordert die Verwirklichung einer „multipolaren“ Welt, abgesehen von ihren falschen theoretischen Grundlagen, ihre friedliche Akzeptanz durch die heute dominierende imperialistische Macht, die Vereinigten Staaten. Dies ist keine realistische Vorstellung. Die Vereinigten Staaten werden sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Bemühungen widersetzen, ihr Streben nach „unipolarer“ Hegemonie zu behindern. So führt das utopische Streben, eine „unipolare“ durch eine „multipolare“ Welt zu ersetzen, in seiner eigenen verdrehten Logik zum Dritten Weltkrieg und der Zerstörung des Planeten.

Der reaktionäre Charakter der von der NATO unterstützten Opposition in der russischen Oligarchie

Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten (YGBL) lehnt es ab, dass Kräfte wie Boris Nadeschdin, Michail Chodorkowski, der verstorbene Alexej Nawalny und seine Witwe Julia Nawalnaja von den Nato-freundlichen Medien und der Pseudo-Linken als „demokratische“ Alternative zu Putin angepriesen werden, die für „Frieden“ stehen. Diese Personen sprechen nicht für die Interessen der Arbeiter und Jugendlichen, sondern für Teile der russischen Oligarchie, des Staatsapparats und der oberen Mittelschicht, die in einer Aufteilung der Region durch den Imperialismus die Grundlage für ihre eigene weitere Bereicherung sehen. Dies ist die soziale und politische Wählerschaft, mit der die imperialistischen Mächte den Sturz des Putin-Regimes und seine Ersetzung durch ein Marionettenregime unter Kontrolle des Imperialismus herbeiführen wollen.

Für die Wahlen riefen diese „Oppositionellen“ dazu auf, am Sonntagmittag im Rahmen eines so genannten „Mittag gegen Putin“ zu den Wahllokalen zu gehen und dann einen ungültigen Stimmzettel abzugeben. Dieser Aufruf wurde von den Pablisten der Russischen Sozialistischen Bewegung und anderen pseudolinken Kräften unterstützt. Wir lehnen solche Methoden ab. Aktionen wie „Mittag gegen Putin“ können nur dazu dienen, Menschen der Gefahr einer Verhaftung und andere Formen staatlicher Repression auszusetzen. Sie tragen nicht zur politischen Bildung und Mobilisierung der Arbeiter bei, sondern liefern Material für die Kriegspropagandamaschine der Nato. Dies entspricht den reaktionären Zielen und der sozialen Basis der so genannten „liberalen Opposition“.

Julia Nawalnaja, Ehefrau des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny, spricht bei einem Treffen mit dem belgischen Außenminister Hadja Lahbib in Brüssel, 19. Februar 2024. [AP Photo/Yves Herman]

Was auch immer sie über „Frieden“ und „Demokratie“ sagen, das Programm und die sozialen Kräfte, welche die Opposition vertritt, bedeuten nicht „Frieden“, sondern Krieg: die gewaltsame Zerstückelung der gesamten Region durch den Imperialismus und mit Hilfe faschistischer Kräfte. Wie ihr verstorbener Ehemann Nawalny, der viele Jahre lang Verbindungen zu faschistischen und separatistischen Tendenzen unterhielt, ist Nawalnaja Handlangerin der imperialistischen Mächte. Sie wird offen von der US-Regierung unterstützt, die den Krieg gegen Russland anführt und den Völkermord des zionistischen Regimes an den Palästinensern in Gaza finanziert.

Chodorkowski, der auch die Aktion „Mittag gegen Putin“ unterstützt hat, war der reichste Mann Russlands und kontrollierte große Teile der Ölvorkommen des Landes, bis er 2003 von Putin inhaftiert wurde. Wie der verstorbene Nawalny unterstützt Chodorkowski regionalistische und separatistische Bewegungen, die für die Interessen lokaler Eliten eintreten. Sie hoffen, durch die Gründung von Ministaaten und die Herstellung unmittelbarer Beziehungen zu den imperialistischen Mächten eine direktere Kontrolle über die riesigen Ressourcen des jetzigen Russlands zu erlangen. Andere Persönlichkeiten der von der Nato unterstützten Opposition, wie Ilja Ponomarjow, haben direkte Verbindungen zu den paramilitärischen Neonazi-Kräften, die an den Übergriffen auf russisches Territorium beteiligt sind.

Indem sie die Politik dieser reaktionären Figuren und ihren „Mittag gegen Putin“ unterstützen, zeigen die Pablisten der Russischen Sozialistischen Bewegung und andere pseudolinke Kräfte, was sie sind: Mitläufer des Imperialismus. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen das Putin-Regime und den Krieg in der Ukraine muss auf einem ganz anderen Weg geführt werden: auf dem Weg des Klassenkampfes.

Die Logik des Klassenkampfes

Das Gespenst der bolschewistischen Revolution von 1917 geht um in allen Teilen der Oligarchie. Sie fürchten nichts mehr als dass der Krieg in der Ukraine, ähnlich wie der Erste Weltkrieg, schließlich zu einer revolutionären Bewegung der Massen führen wird. Das gilt für Wladimir Putin nicht weniger als für seine von der Nato unterstützten Feinde in der Oligarchie und im Staatsapparat.

Während Putin in seiner rekordverdächtig langen Rede vor der Föderationsversammlung die Aussichten auf ein direktes Eingreifen der Nato in der Ukraine nur kursorisch erwähnte, sprach er ausführlich über fünf nationale Projekte und zig Maßnahmen, die auf die „Unterstützung der Bevölkerung und der Unternehmen“ abzielen würden. Er versprach, dass sich die Ausgaben für nationale Projekte bis 2030 auf 8 bis 15 Billionen Rubel belaufen würden. Dies bedeutet eine zusätzliche Belastung des Staatshaushalts von 1,4 bis 2,5 Billionen Rubel pro Jahr. Putin erklärte nicht, wie er diese Projekte zu finanzieren gedenkt. Russland ist bereits mit einem Haushaltsdefizit konfrontiert.

Es sei auch daran erinnert, dass sich die Militärausgaben Russlands im Vergleich zu 2021 fast verdreifachen werden und zum ersten Mal höher sein werden als die Sozialausgaben. Um diese Militärausgaben aufrechtzuerhalten, wird Putins Regime - ungeachtet seiner demagogischen Rhetorik - unweigerlich einen Angriff auf die ohnehin schon schlechten sozialen Bedingungen der arbeitenden Bevölkerung starten. Dies wird die erheblichen sozialen Spannungen, die sich unter der Oberfläche aufgestaut haben, weiter verschärfen.

In der zweiten Hälfte des Jahres 2023 lebten nach offiziellen Angaben 10,2 Prozent der Russen unterhalb der Armutsgrenze, d. h. ihr Einkommen betrug nicht mehr als 14.000 Rubel (etwa 140 Euro). Das sind fast 15 Millionen Menschen. Hinzu kommt, dass die Russen jetzt mit einer neuen Welle von Preissteigerungen konfrontiert sind und die Gesamtverschuldung der Russen aus Verbraucherkrediten wächst. Im Juli 2023 beliefen sie sich auf 32 Billionen Rubel (über 320 Milliarden Euro). Der Anteil der verschuldeten Haushalte hat ebenfalls zugenommen und ist zwischen Juli 2022 und Juli 2023 von 19,4 Prozent auf 21,8 Prozent gestiegen. In der Zwischenzeit sind die Unternehmensgewinne nach Putins eigenen Angaben um 24 Prozent gestiegen, und der Bankensektor hat 2023 über 3 Billionen Rubel (30 Milliarden Euro) verdient.

Die soziale Ungleichheit in Russland ist auf dem höchsten Stand seit 1995. Im Jahr 2021 verfügten das reichste 1 Prozent der russischen Familien über 47,6 Prozent des Nettohaushaltsvermögens. Die ärmsten 50 Prozent der Familien besaßen dagegen nur 3,1 Prozent. Diese Situation birgt den Keim für eine gewaltige soziale Explosion.

Der Klassenkampf in Russland entwickelt sich nicht in einem Vakuum. International erleben wir derzeit den Beginn eines Wiederauflebens des Klassenkampfes, vor allem in imperialistischen Zentren wie den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie in ganz Afrika, Lateinamerika und Asien. Das Entstehen einer Bewegung in der Arbeiterklasse vor allem in den imperialistischen Ländern und insbesondere in den Vereinigten Staaten wird einen starken Einfluss auf das Entstehen einer Bewegung der Arbeiterklasse in Russland und in der Ukraine haben.

In diesem Zusammenhang müssen die Arbeiter vor den immer offeneren Appellen Putins an die extreme Rechte gewarnt werden, in Russland selbst und international. Putin kündigte seine Kandidatur am 8. Dezember als Antwort auf ein „Ersuchen“ des Vorsitzenden des Volksrates der Volksrepublik Donezk, Artyom Zhoga an, einer bekannten rechtsextremen Persönlichkeit. Zhoga ist auch Kommandeur des Sparta-Bataillons, das eine russische Reichsflagge und Blitze, die dem SS-Symbol ähneln, als Insignien trägt.

Der Kreml unterstützt auch zunehmend die Integration der russisch-orthodoxen Kirche, die sich in der Vergangenheit als Hort von rechtsextremen, konterrevolutionären und antisemitischen Tendenzen in Russland erwiesen hat, in säkulare Institutionen, um „die Spiritualität des Volkes zu stärken“. Darüber hinaus hat Putin öffentlich die Anti-Abtreibungs- und Anti-Migrations-Bewegung unterstützt. Die Förderung des extremen Nationalismus und der Aufbau rechtsextremer Kräfte richten sich im Wesentlichen gegen die Arbeiterklasse. Das Ziel besteht darin, die Arbeiter zu spalten und zu verwirren und gleichzeitig die rechtsextremen Kräfte zu ermutigen und aufzubauen, auf die sich die Oligarchie stützen wird, um ihre Interessen gegen jede sich entwickelnde Bewegung in der Arbeiterklasse zu verteidigen.

Der Weg nach vorn

Die fünfte Amtszeit von Wladimir Putin wird durch einen sich ausweitenden Krieg und eine immer größere soziale und politische Krise gekennzeichnet sein, auf die sein Regime keine Antwort hat und auch nicht haben kann. Die Sackgasse seines Regimes ist die Sackgasse des gesamten herrschenden Klassen- und Gesellschaftssystems, das aus der stalinistischen Zerstörung der Sowjetunion hervorgegangen ist.

Konkret lagen dem Einmarsch in die Ukraine die bankrotten Berechnungen Putins für eine Einigung mit dem Imperialismus zugrunde. Allgemein betrachtet folgt der imperialistische Krieg gegen Russland jedoch letztlich aus der Zerstörung der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus.

Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Krieges wächst unter den Arbeitern in Russland, der Ukraine und darüber hinaus zweifellos die Sorge über die Fortsetzung des Kriegs und seine Eskalation. Die schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus, der in der Sowjetunion mindestens 27 Millionen Tote gefordert hat, sind nicht vergessen. Das grundlegende Problem ist jedoch, dass die Arbeiter und jungen Menschen nicht wissen, wie sie einen Ausweg aus der Situation finden können.

Wir stellen ganz klar fest: Der Krieg in der Ukraine muss beendet werden, aber nicht durch die imperialistische Aufteilung der Region und einen von der Nato unterstützten Regimewechsel in Moskau. Die Arbeiterklasse kann sich auch nicht auf die verzweifelten Versuche des Putin-Regimes verlassen, ein Verhandlungsabkommen mit dem Imperialismus durch eine Neuziehung von nationalen Grenzen und eine Kombination aus nuklearen Drohungen und dem Betteln um „Sicherheitsgarantien“ zu finden. Die Aufgabe der Arbeiterklasse besteht nicht darin, die nationalen Grenzen neu zu ziehen oder an diese oder jene Fraktion der imperialistischen Mächte und der Oligarchie zu appellieren. Sie muss vielmehr dafür kämpfen, das kapitalistische nationalstaatliche System als Ganzes zu beenden. Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden und eine nukleare Katastrophe zu verhindern, ist die Entwicklung einer sozialistischen Antikriegsbewegung in der russischen, ukrainischen und internationalen Arbeiterklasse.

Die Geschichte, insbesondere die Geschichte der russischen Revolutionen von 1905 und 1917, hat gezeigt, dass dieselben Widersprüche, die zum Krieg führen, auch zur Revolution führen. Aber eine solche Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend gegen Krieg und Kapitalismus muss durch den Aufbau einer Avantgarde-Partei in der Arbeiterklasse vorbereitet werden. Diese wiederum muss innerhalb einer solchen Bewegung für eine revolutionäre Perspektive und den Marxismus kämpfen.

Die revolutionären Traditionen des Bolschewismus und des marxistischen Internationalismus, die der Stalinismus in einem jahrzehntelangen Krieg gegen den Marxismus und seine Kader in der sowjetischen und internationalen Arbeiterklasse zu zerstören versucht hat, müssen wieder aufgebaut werden. Dies erfordert einen Kampf für den Trotzkismus, der sich auf die Lehren seines jahrhundertelangen Kampfes gegen den Stalinismus und alle Formen des kleinbürgerlichen Nationalismus und Opportunismus stützt. Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten in Russland und der Ukraine treibt diesen Kampf durch den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in der gesamten ehemaligen Sowjetunion voran. Wir rufen Arbeiter und Jugendliche auf, die entschlossen sind, gegen den sich abzeichnenden Weltkrieg zu kämpfen, sich diesem Kampf anzuschließen.

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