Die politischen Fragen im Lokführer-Streik

Der andauernde Tarifkampf der Lokführerinnen und Lokführer ist für alle Arbeiter von Bedeutung. Er zeigt, dass der Kampf gegen Inflation, Reallohnsenkung und steigende Arbeitshetze nicht mit den Gewerkschaften geführt werden kann und untrennbar mit dem Kampf gegen Krieg und militärische Aufrüstung verbunden ist.

Streikende GDL-Mitglieder in Berlin 2021

Im Klassenkampf braut sich ein Sturm zusammen. Viele Arbeiter sind nicht mehr bereit, sinkende Reallöhne und wachsende Arbeitshetze widerstandslos hinzunehmen. Seit Wochen streiken Lokführer, Flughafenarbeiter und Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs. Teilweise standen am selben Tag Züge, Busse und der Flugverkehr still.

Auch in den Krankenhäusern und den Schulen brodelt es. In Industrie, Verwaltung und Handel findet ein riesiges Arbeitsplatzmassaker statt. Hunderttausende, teils hochqualifizierte Arbeitsplätze werden abgebaut, insbesondere in der Auto- und Zulieferindustrie. Aber auch die Chemie-, die Stahl-, die Bau-, die Haushaltsgeräte- und die Softwareindustrie sowie der Einzelhandel sind betroffen.

Doch Konzerne und Bundesregierung sind nicht bereit, nachzugeben. Die Steigerung der Aktienkurse – der DAX erreichte letzte Woche einen historischen Rekord – erfordert eine schärfere Ausbeutung der Arbeiterklasse.

Hinzu kommt die dramatische Kriegsentwicklung. Nach gigantischen Mengen Waffen und Munition will die Nato nun auch Bodentruppen in die Ukraine schicken, was eine direkte Konfrontation mit der Atommacht Russland bedeutet. Im Nahen Osten entwickelt sich der von Deutschland unterstützte Genozid an den Palästinensern zum regionalen Flächenbrand. Nie war die Gefahr eines Dritten Weltkriegs so groß wie jetzt.

Um Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen, verlangt Verteidigungsminister Pistorius neben dem vor zwei Jahren beschlossenen Sonderfonds weitere hunderte Milliarden Euro. Wirtschaft und Gesellschaft werden auf Kriegsproduktion umgestellt.

Das ist der Grund für die Blockadehaltung des Bahn-Vorstands und der Bundesregierung. Sie wollen an den Lokführern ein Exempel statuieren, um allen Arbeitern klar zu machen, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer hat darauf keine Antwort. Der Lokführer-Streik zeigt, dass dieser Kampf nicht mit der GDL, der EVG, Verdi oder einer anderen Gewerkschaft geführt werden kann. Denn auch wenn die GDL inzwischen zum siebten Warnstreik aufgerufen hat, steht sie wie alle anderen Gewerkschaften hinter der Kriegspolitik der Regierung.

GDL-Chef Claus Weselsky, Mitglied der CDU, ist sich wie alle anderen Gewerkschaftsführer mit der Regierung einig, die Kosten der militärischen Aufrüstung durch Lohnsenkung, Sozialabbau und verstärkte Ausbeutung zu finanzieren. Angesichts der Kampfentschlossenheit der Lokführer versucht er, ihren Widerstand in fruchtlose Warnstreiks zu zersplittern.

Der Tarifkampf der Lokführer dauert jetzt bereits knapp fünf Monate. Mitte Dezember stimmten 97 Prozent der betroffenen GDL-Mitglieder für einen unbefristeten Vollstreik. Seitdem fanden sieben Warnstreiks statt, die trotz der Einschränkungen, die sie für viele Reisende mitbringen, in der Bevölkerung Unterstützung fanden.

Doch die GDL-Führung weigert sich, den von den Mitgliedern beschlossenen, unbefristeten Vollstreik zu organisieren. Sie hat die ursprüngliche Forderung weitgehend aufgegeben und angeboten, die Laufzeit des Tarifvertrags von 12 auf 24 Monate zu verlängern und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 2028 zu verschieben.

Im DB-Konzern sind Vorstand, Regierung und Gewerkschaften eng verflochten. In den Führungsgremien sitzen ehemalige Regierungsmitglieder und Staatssekretäre. Die Verweigerungshaltung des Bahn-Vorstands ist mit der Bundesregierung abgesprochen.

Für seine Dienste wird der DB-Vorstand fürstlich entlohnt. 2022 hatten sich die Bezüge im Vergleich zum Vorjahr dank Boni in Millionenhöhe nahezu verdoppelt. In der Belegschaft ist die Wut auf den Bahnvorstand entsprechend groß, insbesondere auf Personalvorstand Seiler, der zuvor Post-Betriebsrat und Verdi-Funktionär war. Weselsky und die GDL-Spitzen greifen dies zwar regelmäßig an, verschweigen aber, dass Weselskys Vize Mario Reiß im DB-Aufsichtsrat den Millionen-Boni zugestimmt hat.

Die Lokführerinnen und Lokführer sind mit dieser gemeinsamen Front aus Regierung, Vorstand und Gewerkschaften konfrontiert. Diese wollen ihnen und den Kollegen in den Zügen, Betriebszentren und Rangierbahnhöfen Arbeitsplatzabbau, Reallohnsenkungen und noch schlechtere Arbeitsbedingungen aufzwingen. So sollen die explodierenden Kriegskosten auf die Beschäftigten abgewälzt werden.

Krieg und Aufrüstung sind keine vorübergehenden Erscheinungen, sondern die Antwort der herrschenden Klasse auf die tiefe internationale Krise des Kapitalismus. Nach Jahrzehnten der Bereicherungsorgien an den Börsen, der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und wachsender wirtschaftlicher Konflikte steht der Kapitalismus vor einem Gewaltausbruch. Die imperialistischen Mächte verfolgen ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen wieder mit militärischen Mitteln. Verdeckte Diplomatie war gestern. Heute agiert die Bundesregierung, wie das „Taurus-Leak“ belegt, offen als Kriegstreiber.

Krieg nach außen bedingt zwangsläufig Krieg nach innen – gegen die eigene Arbeiterklasse. Die Ampelkoalition will nicht nur den Bahnbeschäftigten, sondern allen Beschäftigten klarmachen: „Das ist das Opfer, das ihr für die rasende Eskalation des Militarismus zu akzeptieren habt.“ Darin besteht die Bedeutung der von Scholz ausgerufenen „sozialpolitischen Zeitenwende“!

Die Lokführer und die gesamte Arbeiterklasse müssen der „Zeitenwende“ der Herrschenden ihre eigene „Zeitenwende“ entgegensetzen. Es muss Schluss sein mit den anhaltenden Kürzungen und Verschlechterungen, die ständig als „Kompromisse“ verkauft werden. Arbeiterinnen und Arbeiter müssen für eine antikapitalistische, sozialistische Perspektive kämpfen. Im Rahmen des Kapitalismus erwartet sie Elend, Krieg und Tod.

Es ist notwendig, der Realität ins Auge zu sehen, dass es mit der GDL und den anderen Gewerkschaften keinen Weg vorwärts gibt. Die gutbezahlten Funktionäre in den Gewerkschaftshäusern betrachten das wirtschaftliche Geschehen vom selben Standpunkt wie die Manager in den Vorständen und die Spekulanten an den Börsen. Sie ordnen die Bedürfnisse der Arbeiter und der Gesellschaft den Profitinteressen der Konzerne unter.

Eine grundlegende Neuorientierung und Neuorganisation sind notwendig. Der Kampf gegen die Verweigerung des Bahn-Vorstands und das Diktat der Bundesregierung, die Verteidigung der Arbeitsplätze und der Kampf gegen Krieg erfordern eine sozialistische Perspektive und eine internationale Strategie. Die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung und der Gesellschaft haben Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne und Banken.

Der nationalistischen Politik der Gewerkschaften, die eng mit der Regierung zusammenarbeiten und die Kriegspolitik unterstützen, muss die internationale Zusammenarbeit der Arbeiterklasse, unabhängig von Nationalität, Herkunft und Hautfarbe, entgegengesetzt werden.

Deshalb ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees so wichtig und dringend. Nur so ist es für Arbeiter mit oder ohne Gewerkschaftsbuch möglich, sich der kapitalistischen Logik der Profitwirtschaft und der Diktatur des Gewerkschaftsapparats zu widersetzen. Nur so können Arbeiter die Organisation von Arbeitskämpfen selbst in die Hand nehmen, die internationale Zusammenarbeit aufbauen und in der Diskussion über eine sozialistische Perspektive das notwendige politische Selbstbewusstsein entwickeln.

Die GDL-Mitglieder sind nicht allein. Ihre Tarifauseinandersetzung ist Teil einer wachsenden Streik- und Protestbewegung. Überall finden befristete Streiks statt. Bundesweit im ÖPNV, auf den Flughäfen und in der Kabine der Lufthansa sowie im Ford-Zulieferpark in Saarlouis. Auch die Verkäuferinnen und Verkäufer im Einzelhandel streiken seit Monaten immer wieder. Die Welle von Entlassungen in der Auto-, Stahl- und Chemieindustrie werden Zehntausende in Kämpfe treiben. Dazu kommen die militanten Proteste der Bauern gegen die Ampelkoalition und die Massendemonstrationen gegen die AfD.

Die Gewerkschaften halten die Streiks und Proteste bewusst klein und voneinander getrennt. Ein gemeinsamer Kampf soll strikt verhindert werden. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter warten daher nur darauf, dass jemand den Anfang macht und die Kontrolle der Gewerkschaftsapparate durchbricht.

Ein unbefristeter Streik der Lokführerinnen und Lokführer muss zum Auftakt für eine breite Mobilisierung gegen die Senkung der Reallöhne, gegen die Massenentlassungen sowie gegen die Kriegs- und Kürzungspolitik der Regierung werden. Die Arbeitskämpfe müssen mit dem Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine und den Völkermord in Gaza vereint werden und sich gegen den Kapitalismus richten, die Ursache von Krieg, Genozid, Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen.

Dafür stehen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Schwesterorganisationen in der Vierten Internationale. Sie kämpfen für ein internationales sozialistisches Programm.

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