Perspektive

Was Biden über Trumps Putsch vom 6. Januar 2021 verschweigt

Am vergangenen Freitag hielt US-Präsident Joe Biden in Pennsylvania eine Rede; am Tag darauf waren es genau drei Jahre seit Donald Trumps gescheitertem Putschversuch. Am 6. Januar 2021 hatte erstmals ein amerikanischer Präsident versucht, eine Wahl, die er verloren hatte, zu kippen.

Biden ging am Freitag auf einige Details des damaligen Sturms auf das Kapitol ein und erwähnte auch, dass Trump persönlich den Mob aufgerufen und angestachelt hatte, und dass er damit verhindern wollte, dass der Kongress das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020 bestätigen würde.

Allerdings ließ Biden in seiner Rede zwei zentrale Themen im Zusammenhang mit dem 6. Januar aus: Erstens die Rolle, die die Demokratischen Partei vor und während des Putschversuchs und seither gespielt hat; und zweitens blendete er die objektive Quelle der wachsenden Gefahr aus, die die amerikanische Demokratie bedroht.

In seiner Rede beschuldigte Biden Trump, er habe stundenlang geschwiegen, als der Mob die Polizeiketten durchbrach, das Kapitol stürmte und in die Hallen strömte, so dass US-Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses sowie Vizepräsident Mike Pence in Todesangst die Flucht ergriffen.

„Als Amerika von innen her angegriffen wurde, schaute Donald Trump im kleinen Privatspeisesaal neben dem Oval Office im Fernsehen zu“, klagte Biden. „Die ganze Nation sah es mit Entsetzen. Die ganze Welt schaute ungläubig zu. Und Trump hat nichts getan.“

Das wirft die Frage auf: Was hat der designierte Präsident Joe Biden selbst damals getan? Er prangerte den Angriff auf dem Capitol Hill nicht öffentlich an. Er schlug nicht Alarm. Er warnte das amerikanische Volk nicht, es solle auf der Hut sein, geschweige denn appellierte er an die Bevölkerung, aktiv zu werden und ihre demokratischen Rechte zu verteidigen. Als er schließlich vor die Kamera trat, geschah dies absurderweise, um an Trump, den obersten Putschisten, zu appellieren: Er solle den Mob, den er selbst nach Washington gebracht hatte, zurückrufen.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, was Biden, ein sehr erfahrener Staatsdiener, in diesen Stunden gemacht hat: Sicher nahm er Kontakt zu den Spitzenbeamten des militärischen Geheimdienstes auf, um auszuloten, welche Chancen der Putsch wohl habe. Erst als Biden sicher war, dass der Putsch scheitern würde, trat er vor die Fernsehkameras und forderte Trump auf, seine Anhänger nach Hause zu schicken.

Diese Haltung stand im Einklang mit dem Verhalten der Demokratischen Partei in den Monaten vor dem 6. Januar 2021. Biden selbst hatte im Sommer 2020 gesagt, sein schlimmster Albtraum sei, dass Trump sich weigern könnte, nach einer Wahlniederlage das Weiße Haus zu räumen. Er zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass das Militär den ehemaligen Oberbefehlshaber in diesem Fall schnell absetzen und in den Ruhestand geleiten werde.

Während des gesamten Wahlkampfs im Herbst verharmlosten Biden und die Demokraten Trumps wiederholte Drohungen, er werde eine Wahlniederlage nicht akzeptieren, und behaupteten, von dieser Seite drohe keine Gefahr. Das amerikanische Volk könne sich auf eine weitere friedliche Machtübergabe freuen. Diese Beschwichtigungen wurden in der Zeit zwischen der Wahl und dem 6. Januar noch verstärkt, und Biden machte sich öffentlich über jede Andeutung lustig, dass es Trump mit dem Festhalten an der Macht ernst sein könnte.

Nach dem 6. Januar setzte die Operation Vertuschung ein, und rasch nahm Biden die Republikanische Partei in Schutz. Die Mehrheit der Republikaner im Kongress stimmte dafür, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen nicht zu bestätigen, und übernahm damit die Position der Randalierer, die das Kapitol angegriffen hatten. Aber nur einen Tag später erklärte Biden: „Wir brauchen eine Republikanische Partei. Wir brauchen eine Opposition, die prinzipientreu und stark ist.“

Dies wurde zu einem Mantra nicht nur für das Weiße Haus, sondern auch für die Führung der Demokraten im Kongress. Sie wollten einen Zusammenbruch des Zweiparteiensystems verhindern, denn es ist ein wichtiges Bollwerk des Großkapitals und verschafft der Kapitalistenklasse in Amerika ein effektives politisches Monopol.

Die verschiedenen Anhörungen zum 6. Januar wurden immer wieder verschoben und unterbrochen. Die Untersuchung des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses zu den Ereignissen des 6. Januar spielte eine entscheidende Rolle dabei, die Beteiligung staatlicher Stellen bei dem Putschversuch zu vertuschen.

Zwar wurden wertvolle Beweise über die Ereignisse vor dem 6. Januar vorgelegt, aber der Ausschuss weigerte sich, die Rolle des Pentagon, des Ministeriums für Innere Sicherheit und anderer staatlicher Stellen zu untersuchen. Dies hielt auch dann noch an, als Berichte auftauchten, wonach hochrangige Generäle die Entsendung der Nationalgarde zur Verteidigung des Kapitols blockiert hatten. In seinen öffentlichen Anhörungen und seinem Abschlussbericht stellte der Sonderausschuss den Angriff auf das Kapitol als ein Ereignis dar, für das Trump und nur Trump persönlich verantwortlich war: ein Ein-Mann-Coup. In seiner Rede am Freitag griff Biden diese Darstellung wieder auf.

Er verband das Stillschweigen über die breitere Verantwortung für den Staatsstreich mit dem Stillschweigen über dessen tiefere gesellschaftliche Ursachen. Vollkommen zu Recht sagte Biden in seiner Rede am Freitag, dass Trump, sollte es ihm gelingen, als Ergebnis der Wahl 2024 ins Weiße Haus zurückzukehren, seine Diktaturpläne wieder aufleben lassen würde:

Trump hat vor, sich auf den Insurrection Act zu berufen, der es ihm erlauben würde – was unter normalen Umständen nicht erlaubt ist – US-Militärkräfte auf den Straßen Amerikas einzusetzen. Er hat es gesagt. Er nennt diejenigen, die sich ihm widersetzen, „Ungeziefer“. Er spricht davon, dass das Blut der Amerikaner vergiftet werde, und greift damit genau die Sprache auf, die in Nazideutschland verwendet wurde.

Aber Biden schwieg zu der wichtigsten Frage, die sich aus diesen Fakten ergibt. Wie kommt es, dass ein zweifach angeklagter Ex-Präsident, der die Verfassung stürzen wollte, erneut an die Macht gelangen kann?

Ohne Zweifel haben die Demokraten zur Wiederbelebung von Trumps politischem Erfolg beigetragen. Sie haben jede ernsthafte Untersuchung des 6. Januar blockiert. Trump müsste im Gefängnis sitzen und sich nicht an der Seite zahlreicher hochrangiger Mitverschwörer auf Wahlkampftour befinden.

Bidens Behauptung, er werde die Verteidigung der Demokratie zur Achse seiner Regierung und seines Wiederwahlkampfs machen, ist eine durchsichtige Lüge. Der zentrale Schwerpunkt seiner Regierung ist der Krieg, zunächst der Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine, und jetzt der völkermörderische israelische Angriff auf Gaza. Beide Kriege werden im Interesse des amerikanischen Imperialismus geführt, und sie werden ohne jedes demokratische Mandat und gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung geführt.

Genau wie Trump ist auch Biden auf Gedeih und Verderb der Verteidigung der amerikanischen herrschenden Klasse verpflichtet, auch er hat ihre globalen Interessen im Auge. Um diese Kriege fortzuführen, benötigt Biden die parteiübergreifende Unterstützung der Republikanischen Partei, sogar wenn diese sich darauf vorbereitet, den Faschisten Trump bei den Wahlen 2024 zu nominieren.

Und als Teil dieser Kriegspolitik setzt Biden Trumps Angriffe auf die Demokratie fort, wenn auch mit anderer Rhetorik. Immer noch werden Migranten in Lagern inhaftiert und zu Millionen abgeschoben, bloß ohne die hämischen Reden aus dem Weißen Haus. Mit den Kriegen in der Ukraine und vor allem im Gazastreifen geht ein Angriff auf das Recht auf Meinungsfreiheit einher, der sich heute auf die Hochschulen konzentriert und zu Unrecht behauptet, den „Antisemitismus“ zu bekämpfen.

In ihrer Neujahrserklärung in vier Teilen (publiziert in der ersten Januarwoche) hat die internationale Redaktion der WSWS eine umfassende Analyse der Krise und des Zusammenbruchs der kapitalistischen Demokratie vorgelegt. Sie vollzieht sich nicht allein in den Vereinigten Staaten, sondern auf der ganzen Welt.

Die Erklärung führt diesen Zusammenbruch auf die tiefer liegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wurzeln zurück: die zunehmende Dominanz der Gesellschaft durch eine Handvoll gigantischer Finanzhäuser und die extremen sozialen Spannungen, die ein beispielloses Anwachsen der sozialen Ungleichheit hervorgerufen hat. Eine winzige Handvoll Milliardäre besitzt mehr Vermögen als die Bevölkerungsmehrheit. In dem Statement wird erklärt, dass demokratische Rechte mit der Vorherrschaft einer Clique kapitalistischer Oligarchen über die Gesellschaft unvereinbar sind:

Alles Gerede über die Verteidigung der Demokratie und den Kampf gegen den Faschismus ist zynische und politisch impotente Demagogie, solange die grundlegende Frage der Klassen und der wirtschaftlichen Macht - und damit der Notwendigkeit, die Arbeiterklasse auf globaler Ebene für den Sturz des Kapitalismus zu mobilisieren - ignoriert wird. Der Reichtum der Milliardäre muss enteignet werden, und die gigantischen Konzerne müssen ohne Entschädigung der Großaktionäre in demokratisch kontrollierte Betriebe umgewandelt werden, die auf der Grundlage sozialer Bedürfnisse und nicht des privaten Profits geführt werden. Die antidemokratischen Institutionen und Repressionsorgane des kapitalistischen Staates (Militär, Polizei und Geheimdienste) müssen abgeschafft und durch Organisationen der Arbeiterkontrolle und -macht ersetzt werden, um eine demokratische und geplante Wirtschaft im Weltmaßstab zu errichten.

Nur mit einem solchen sozialistischen Programm können die demokratischen Rechte verteidigt werden. Um dies zu erreichen, ist es nötig, die Arbeiterklasse auf unabhängige Weise sowohl gegen die Demokraten als auch gegen die Republikaner zu mobilisieren.

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